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Ein Fest für die Ohren. Der Komponist und Altsaxophonist Christophe Monniot im Kesselhaus

© Ulla Binder

Eigene Stimmen, fremde Stimmen: Das Festival Jazzdor im Kesselhaus

Das französisch-deutsche Jazzfestival Jazzdor hat zum 15. Mal begonnen - mit einem fantastischen Konzert von Christophe Monniot

Von Gregor Dotzauer

Wenn der musikalische Fortschritt erlahmt, beginnt das Zeitalter der Kombinatorik. Alles lässt sich mit allem verbinden, und die künstlerische Aufgabe besteht darin, Mischformen zu entwickeln, die so noch keiner gehört hat. Als diese Lust aufs Hybride noch neu war, trug sie den Namen Postmoderne. In der Postpostmoderne ist auch sie historisch geworden: Das ironische Zitieren unterschiedlichster Einflüsse entlockt kaum jemandem noch ein Lächeln. Stattdessen ist ein Ernst ausgebrochen, der ebenso nachdrücklich permanente Grenzüberschreitung und stilistische Offenheit einfordert, wie er unrechtmäßige Aneignungen fürchtet. Das ist im Jazz nicht anders als in anderen Gattungen.

Beispiel O.U.R.S. Zu Deutsch: der Bär. Die vierköpfige französische Band unter der Leitung des Geigers und Mandolinisten Clément Janinet, die am Dienstag im Kesselhaus der Kulturbrauerei das 15. Jazzdor-Festival Strasbourg – Berlin eröffnete, macht kein Hehl daraus, wofür ihr Akronym steht. Ausbuchstabiert bedeutet es: Ornette Under Repetetive Skies. Zwei einander denkbar fremde Bereiche werden hier zusammengezogen. Einerseits der wilde Ornette Coleman, der mit seinem harmolodischen System alle Hierarchien von Rhythmus, Melodie und Harmonie zugunsten einer basisdemokratischen Musiksprache aushebeln wollte, andererseits die vertrackt ziselierten Minimal Patterns von Steve Reich. Beides kommt allerdings nur in Maßen zur Geltung – und kaum je vereint.

Mal dreht sich Janinets Violine, gepaart mit Joachim Florents Kontrabass, über dem leise vor sich hinpochenden und – klöppelnden Vibraphon des Drummers Emmanuel Scarpa und verharrt im Repetitiven. Dann wieder gönnt er sich zusammen mit Tenorsaxophonist Hugues Mayot, der in der hart konturierten Ausgestaltung seiner Soli ohnehin eher zur Schule von John Coltrane gehört, eine hymnische Aufwallung. Janinet – ein seltener Höhepunkt – bricht auf zu einer bachartigen Solo-Chaconne mit fahlem Bogenstrich.

Diese Musiker sprechen im ständigen Wechsel alle Sprachen des Jazz fließend, aber sie haben nichts zu sagen. Nacheinander arbeiten sie sich durch Balladen und Heavy Beats, und wenn sie Alice Coltrane Tribut zollen, wird zuerst eine elektronische Tambura mit zirpendem Bordunton angeworfen, dann schwingt man sich auf einen verführerisch langsamen 5/4-Takt ein, um schließlich zu demonstrieren, dass man mit rasendem Walking Bass auch ganz anders kann.

Das Erstaunliche der „Six Migrant Pieces“ des Altsaxophonisten Christophe Monniot und seiner Band im zweiten Teil des Abends ist vielleicht, dass auch sie von einer Multistilistik zehren, der die Hommage an Wayne Shorter genauso recht ist wie das Spiel mit dem Balkanturbo. Doch welche Energie, welche Souveränität, welche Autorität sind hier am Werk. Jeder einzelne der sechs Musiker spricht mit seiner Stimme durch die Kompositionen und Arrangements hindurch und geht auf enthusiastische Weise mit.

Endlich tanzt der Bär

Jozef Dumoulin watet an seinem elektronisch verfremdeten Fender Rhodes zusammen mit dem wunderbaren, bei Jazzdor schon mehrfach aufgetretenen Gitarristen Nguyên Lê durch eigentümlich absaufende Zieh- und Zerrsounds, während Schlagzeuger Franck Vaillant mit Bassist Bruno Chevillon ein Netz webt, über dem Christophe Monniot und der Trompeter Aymeric Avice ihre Kreise ziehen. Endlich tanzt der Bär.

Wenn man aus diesen fast wie Nacht und Tag unterschiedenen Konzerten etwas lernen kann, dann vielleicht, dass man gerade im Jazz den ästhetischen Ansatz nicht überbewerten darf. Jeder einzelne, von der Summe nicht zu reden, ist in der Lage, ihn durch die eigene Persönlichkeit zu transzendieren. Das ist keine reine Frage des Tones und der physischen Präsenz. Es hängt mindestens so sehr an einem sorgfältig entwickelten instrumentalen Vokabular, was den ästhetische Entwicklungsstand nun doch wieder in den Blick rückt. Das Jazzland Frankreich hat da einiges zu bieten.

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