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Kultur: Ein amerikanischer Traum

Von einem, der auszog: Tobias Hauser auf den Spuren Thoreaus

Der Landvermesser und Naturkundler Henry David Thoreau (1817-1862) war zweifellos ein ungewöhnlicher Mann. Nicht nur, dass er im Alter von 28 Jahren eine Philosophie der individuellen Autarkie entwickelte, er erprobte sie auch gleich im Selbstversuch. Für Thoreau sah der amerikanische Traum so aus: Er konstruierte das Modell einer Holzhütte, welche zum einen die einfachsten Bedürfnisse des Menschen befriedigen und zum anderen für jeden erschwinglich sein sollte. Die eigene Heimstatt baute er mitten im Wald in der Nähe von Concord, Massachusetts: Wohnfläche circa zehn Quadratmeter, eine Tür, zwei Fenster, ein Kamin. Vom März 1845 bis zum Sommer 1847 lebte er darin, um den Beweis zu führen, dass man allein in der Abgeschiedenheit existieren kann und trotzdem glücklich wird.

„Ich zog in den Wald“, schrieb er im Nachhinein, „weil ich den Wunsch hatte, ...dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten.“ Er wollte herausfinden, „ob ich nicht lernen könnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte". Um auch dem Rest der Welt zu ermöglichen, zwischen der richtigen und falschen Daseinsform zu unterscheiden, veröffentlichte Thoreau den Bauplan seiner „Walden"-Hütte.

Dass man die nicht nur in der Wildnis errichten kann, hat nun der Berliner Künstler Tobias Hauser gezeigt. In Zusammenarbeit mit der Zwinger Galerie baute er für das Rahmenprogramm des Architekturkongresses Thoreaus Hütte nach, und zwar dort, wo Berlin heute definitiv Stadt ist, beziehungsweise wird: am künftigen Leipziger Platz, auf einem leeren Grundstück gegenüber von Sony, Beisheim-Center und dem Bundesrat.

Das sieht natürlich erst einmal merkwürdig aus: eine einfache Holzhütte mit Schindel-gedecktem Dach in dieser verkehrsumbrausten Gegend. Und natürlich fällt das arme Ding auch nur den wenigsten Passanten auf, obwohl die Unterschiede zu den sonst überall aufgestellten Baucontainern signifikant genug sind. Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Hütte von Hauser/Thoreau sich genau am rechten Ort befindet. Hier entwirft die Metropole die Bilder, die sie gerne von sich verbreitet wissen würde – das großstädtische, neue Berlin. Doch gehören zu allen Bildern auch Gegenbilder. Da wäre eines, so sinnfällig wie kein zweites.

Ulrich Clewing

Leipziger Platz gegenüber dem Bundesrat, geöffnet Samstag und Sonntag 16-20 Uhr, bis Ende September.

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