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Zu nah. Elena (Chara Giannatou, links) und Tessa (Jördis Triebel).

©  Wild Bunch

"Ein Atem" im Kino: Ein Stück Süßes, aber nur eins

Zwischen deutscher Mama und griechischem Kindermädchen: Christian Züberts „Ein Atem“ ist eine Sozialstudie mit Thrill, die trotzdem nicht recht zu berühren vermag.

Katastrophe ist ein griechisches Wort. „Wendung zum Schlimmen“ bedeutet es dort, und in Aristoteles‘ Dramentheorie steht es für den furchtbaren Umschlag, der die Tragödie definiert. Es zeigt also ziemlich viel von den aktuellen Widersprüchen im Griechenlandbild: Griechenland, Symbol des europäischen Bankrotts. Griechenland (viel seltener), Ursprung der europäischen Kultur.

Christian Züberts „Ein Atem“ erzählt von einer kleinen, privaten deutsch-griechischen Katastrophe, in der doch das ganze große Drama enthalten ist. Von politischer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, von Ängsten und Vorurteilen, die wahr werden, davon, wie Solidarität und Egoismus offenbar sehr gut nebeneinander existieren können. Dass dem Film selbst dabei die Tragik eher misslingt, dass er, trotz des Gewichts seiner Geschichte, nicht recht zu berühren vermag, das ist sein ganz eigenes Drama.

Die Katastrophe entsteht in der Begegnung der zwei Frauen

Die Katastrophe bricht in Gestalt der jungen Griechin Elena (Chara Mata Giannatou) über Tessa (Jördis Triebel) und ihre Kleinfamilie herein. Oder: Sie ereilt Elena in Deutschland, wo sie als Tagesmutter auf das Kleinkind Lotte aufpasst. Oder auch: Die Katastrophe entsteht in der Begegnung zweier Frauen, die sich – jede auf ihre Art – falsch verhalten. Weil beide unter Druck stehen, weil ihre Lebensumstände kaum etwas anderes zulassen. Tessa leidet, wenn auch im Frankfurter Loft, unter der Dreifachbelastung von Kind, Beruf und Perfektionismus, Elena unter dem Prekären einer Lebenssituation, in der sie allein im Ausland lebt, ohne Krankenversicherung und schwanger noch dazu. Ihr Freund in Athen findet, sie sollte gefälligst mal wieder nach Hause kommen – und er äußert das in demselben fürsorglich-verfügenden Ton, in dem auch Tessas Mann ihr erklärt, sie brauche eigentlich gar nicht zu arbeiten.

Zumindest am Anfang sehr witzig

Zwei Frauen, Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin, Mutter und werdende Mutter. Verbindet die Mutterschaft, dieser Urmythos des Weiblichen, sie über die ökonomischen Verhältnisse hinweg? „Ein Atem“ fordert feministische und kapitalismuskritische Perspektiven heraus, ohne sie selbst allzu deutlich zu formulieren – einfach, indem er die Parallelen und Unterschiede zwischen den Lebenssituationen der beiden Frauen genau beobachtet. Sehr genau und, zumindest am Anfang, auch sehr witzig.

„Nur ein Stück Süßes am Tag für Lotte“, mahnt Tessa Elena am ersten Arbeitstag. „Was soll ihr schon passieren, wenn sie mal zwei Stück Süßes isst? Explodiert sie dann?“, mokiert sich Elena später bei einer Freundin. Überhaupt lässt sie sich von all den Regeln dieser steril veganen Welt, deren stabile Ordnung auf Exceltabellen und Bio-Essen beruht, nur wenig beeindrucken.

Lotte verschwindet

Unbesorgt spannt sie ihre Mutter zum Babysitting via Skype ein und lässt den Kinderwagen schon mal vorm Supermarkt stehen, während sie Lotte ein Bio-Rosinenbrötchen kauft. Ganz selbstverständlich überzieht Tessa dafür Elenas Arbeitszeit und hält sich auch sonst mit Ansprüchen nicht zurück: muss eben alles funktionieren. Und dann ist Lotte verschwunden.

Da wechselt der Film die Perspektive. Nachdem Elena im Ton einer leichten, manchmal bissigen Culture-Clash-Komödie erzählt hat, kommt mit Tessa das tragische Fach. Doch ihre Verzweiflung hinter der fordernden Art und stets gefassten Fassade bleibt bloß behauptet. „Ein Atem“: seltsamer Titel und schöne Utopie. Dass wir alle gleich wären, gemeinsam atmeten. Der Filmschluss allerdings spricht von Ungleichheit.

In acht Berliner Kinos

Julia Dettke

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