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Kultur: Ein Bier im Kiesfeld

„Gegen die Wand“: Das Maxim Gorki Theater Berlin stürzt sich ins große Kino

Schon geil, wie die Frau im Kleid und der Typ im Anzug einander gegenüberstehen, atmend, lauernd, Flasche in der Hand, und dann loslegen, loslassen, sich Bier in die Gesichter prusten, in den Ausschnitt, auf den Hosenlatz. Schaumsex. Man riecht das Bier im Raum. „Schmeckts dir?“ fragt sie ihn. „Was?“ - „Das Leben.“

Während Armin Petras’ „Prinz von Homburg“ im Dauerregen steht, schwimmt die von Matthias Huhn inszenierte Bühnenfassung von Fatih Akins Lebensdurstfilm „Gegen die Wand“ im Bier. Besoffen macht der Abend nicht, höchstens wird man mal angeheitert durch eine witzige Pointe in Petras’ Textfassung. Die eindringlichen Szenen sind rar in der Eineinviertelstunde im Gorki-Studio.

Wenn Spannung entsteht, dann zwischen Peter Moltzen und Anne Ratte-Polle, also dem abgerockten Musiker „M“ und seiner Bettfreundin, der Friseurin „A“. Nach der Bierspucksession belädt sie den Alki mit Halbeliterflaschen, beide Arme hat er voll, noch eine Pulle obendrauf, eine in die Tasche, in die Hose, ins Jackett, da hat er zu schleppen an diesem Leben voller Nichtbeziehungen, lange geht das nicht mehr gut. Im Szenenwechseldunkel zerplatzt eine Flasche auf dem Boden, die Scherben sind schnell weggefegt – und das Bild nur noch klarer.

Aber die Inszenierung öffnet keinen Raum. Sie streicht auch den deutsch-türkischen Hintergrund. Huhn macht auf abstrakt und hält mit der kulturellen Lebenswelt auch die Figurenmotivation außen vor. Allerdings verlässt er sich zugleich darauf, dass im Zuschauerhinterkopf Akins Film mitläuft (dazu passt Petras’ Erzählerfigur des „Mannes, der schon alles gesehen hat“, deren Text wegen Lutz Günzels Erkrankung bei der Premiere auf die anderen Figuren verteilt wurde).

Ohne den Kontext des Films, der 2004 auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann, erschiene die Geschichte von „S“, die aus der familiären Enge raus und rein ins eigene Leben will und letztlich auch ihren Alibi-Ehemann „M“ zu einem Neustart bringt, nur blass und behauptet. Anika Baumann spielt „S“ als schnatternde Schlichte mit „Hä?“-Gesicht, ohne Spur von Verletzlichkeit. „S“ bumst sich durchs Nachtleben, während ihr Gatte destruktiven Watschensex mit der Friseurin hat. Erst als „M“ einen Disco-Lover seiner Frau erschlägt, bemerken die beiden ihre Gefühle füreinander.

Sie stehen gepresst gegen die Bühnenwand, und Ratte-Polle steht davor und beschreibt die verwirrte Annäherung, erregt, stockend. Sie schlafen dann doch nicht zusammen, und doch wird das Brautkleid, das „S“ noch immer trägt, zum Vereinigungszeichen, wenn „M“ sie umarmt. Blut statt Bier. Ein Ende, ein Anfang.

Aber erst mal muss „M“ in den Knast. Ärgerlich das Lochblech, das er zur Verdeutlichung vor sich hält. Sonst ist die Bühne ja auch kulissenfrei, hinten ein paar Spiegel zum Smokinganziehen und Kleidüberstreifen zu Beginn des Stücks, zu Beginn des neuen Lebens. Als „M“ sie Jahre später wiederfindet, die blumenbemalte Wanderklampfe wie einen Strauß in der Hand, hat „S“ längst ein zweites neues Leben begonnen. Sie trägt ein weißes Kostüm, aus dem Brautkleid hat sie gemeinsam mit ihrer (ebenfalls von Ratte-Polle gespielten) Schwester ein Babybündel geschnürt. Das kleine Weiße kommt für zwei Tage zur Tante. Der letzte Tanz, das letzte Kleiderrunterreißen, wieder die weiße Unterwäsche, in der die beiden schon am Anfang auf dem Kiesbett liegen und sich dann nacheinander erheben und mit Eisenstangen ihr altes Leben zerschlagen, in Form von Lautsprechern, aus denen Herzschläge tönen. Am Ende liegt die Schwester auf dem Kies. Ist halt keiner richtig glücklich. Vorher wurde noch von Sisyphos erzählt, von dem Moment, wenn der Stein schon wieder ins Tal gerollt ist, er sich aber noch nicht wieder aufgemacht hat, seine sinnlose Arbeit erneut zu beginnen. „Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.“ Ganz kleines Kino. Neben der Schwester liegt Strandgut: ein Dutzend Bierflaschen.

Wieder am 17. und 24. Februar

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