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Kultur: Ein gebauter Baufehler als Kunstwerk

Weniger Pathos wäre fehl am Platz: es wurde ein fast verlorenes Kunstwerk zurückgewonnen. Der Einsteinturm Erich Mendelsohns, eines der berühmtesten Bauwerke dieses Jahrhunderts, ist seit wenigen Tagen wieder ohne Baugerüst und Bauzaun auf dem Potsdamer Telegrafenberg zu sehen.

Weniger Pathos wäre fehl am Platz: es wurde ein fast verlorenes Kunstwerk zurückgewonnen. Der Einsteinturm Erich Mendelsohns, eines der berühmtesten Bauwerke dieses Jahrhunderts, ist seit wenigen Tagen wieder ohne Baugerüst und Bauzaun auf dem Potsdamer Telegrafenberg zu sehen. Ästhetisch vertrocknet zeigte sich bis vor zwei Jahren ein trotz allen architektonischen Schwungs massiger Klotz. Die kalkweiße Farbe blätterte ab, Putz löste sich neben langen Wasserfahnen und vergammelten Fensterblechen. Heute strahlt zwischen den Kiefern ein zartockergelb schlingerndes, plastisches Objekt, schlüpfrig fast, cremigvanillen, delikat in seinen gleitenden Schatten unter zarten Spitzen, breiten Wölbungen, tiefen Höhlungen, aufstrebend und umfassend zugleich. Schon jetzt sind die Metaphern ungezählt, mit denen der Turm mit seinen vielen Ausbuchtungen und Einschwüngen verbunden wurde: von der brechenden Welle über den Panzerkreuzer Potjemkin bis hin zum Felsmassiv, das sich unvermutet aus märkischem Sand emporstemmt. Doch noch deutlicher als bisher wird nun jede Beschreibung des Einsteinturmes einen erotischen, ja sexuellen Unterton enthalten.

Das ist nicht zuletzt der neuen, ungewohnten Außenfarbe zu verdanken, die durch lasierenden Anstrich auf dem alten Putz erreicht wurde. Immer noch täuschen, wie die Kunsthistorikerin Simone Förster erforschte, die zeitgenössischen Schwarzweiß-Fotos Arthur Kösters. Er verschliff mit schrägen Perspektiven und scharfen Schlaglichtern die Kanten, ließ den zarten Spritzputz regelrecht prickeln, der sich um die Fensterluken schlang. Selbst das jüngste und insgesamt sehr gut bearbeitete Werkverzeichnis Mendelsohns sieht ihn noch weitgehend mit diesen Augen (Regina Stephan (Hrsg.) Erich Mendelsohn. Gebaute Welten. Verlag Gert Hatje, 128 Mark). Doch gestrichene Oberflächen und kräftige Materialfarben waren entscheidender Teil des Bauens der zwanziger Jahre. Auch zum Einsteinturm fertigte Mendelsohn gelb, orangen, blau und grün angelegte Zeichnungen; nur wurden sie bisher wenig beachtet. Dabei wurde der Turm erst 1950 weiß gestrichen, während der Reparatur der Kriegsschäden. Vielleicht war schon diese "Rekonstruktion" eine Fehlinterpretation der Grautöne auf den Fotos von Köster. Weitgehend verfallen waren damals übrigens bereits die Gartenanlagen, die 1922 von Richard Neutra geplant worden waren. Später wurde er der Gründer der modernen Baukunst Kaliforniens. Schroff und kräftig grün sollten harte, unnatürlich steil geböschte Rasenkanten die Plastizität des hellen Baukörpers unterstützen. Rekonstruiert durch Joachim Jacobs und Petra Hübinger, zeigen sich diese Anlagen nun wieder als Mittler zwischen "wildem" Wald und durchgeformter Zivilisation.

Der Astronom Erwin Finlay-Freundlich, der sich dem experimentellen Nachweis von Einsteins Relativitätstheorie widmete und über die Gelder der Einstein-Stiftung verfügen konnte, gab dem unerfahrenen Jungarchitekten in einem Brief am 2. Juli 1918 die Chance zum ersten Wurf. Er formulierte darin genaue technische Vorstellungen für das Bauwerk, das für Jahrzehnte die wichtigste Sonnenforschungsanlage Europas sein sollte. Und: "Man kann ja auch aus einem kleinen Projekt etwas Hübsches machen."

1920 erhielt Mendelsohn den offiziellen Auftrag für dies Projekt, das zum Synonym für die andere, nicht durch den rechten Winkel gezügelte, sondern dynamische Moderne wurde. Obwohl das Gebäude schon 1922 übergeben wurde, waren die komplizierten Apparaturen von Carl Zeiss Jena erst 1924 fertig installiert. In diesem Jahr machte auch Köster seine Fotos, und auf ihnen sind bereits die ersten Wasserflecken zu sehen. Denn der Bau scheint zwar ganz aus fließendem Beton gegossen - und Mendelsohn trat diesem Eindruck propagandistisch geschickt nie entgegen. Doch ist er eigentlich eine Mischkonstruktion aus Ziegelmauerwerk, an- und aufgesetzten Betonwänden und sehr viel überglättendem, formgestaltendem Putz. Die Vielfalt der Materialien, ihre unterschiedliche Ausdehnung bei Sonnen- und Windeinwirkung, die schwankenden Putzstärken und die schlechte Ableitung des Regenwassers führten schnell zu Bauschäden. 1924 mußte Mendelsohn akzeptieren, daß seine Konzeption schuld daran war. 1927 fand die erste Totalrenovierung statt. Der Spritzputz wurde deckend gelb überstrichen, der Kuppelfuß und die Fensterbrüstungen mit Metall abgedeckt, die Wasserspeier neu konstruiert.

Doch 1930 waren bereits neue Schäden sichtbar, und seither ist eine Grundinstandsetzung im Rhythmus von etwa zehn Jahren notwendig. Teilweise waren die Sanierungen allerdings verheerend: so wurden harte Zementputze neben die weichen Kalkoberflächen gesetzt, die sich nun erst recht lösten. Christine Hoh-Slodczyk, die mit Helge Pitz seit 1996 die intensive Bauforschung, die Analyse der Schäden und ihrer Ursachen sowie schließlich die Restaurierung betreute, spricht von einem "gebauten Baufehler".

Während ihrer Untersuchungen wurden die vielen Risse und Materialwechsel genau kartiert, man fand unter der Metallabdeckung Reste des ersten gelben Spritzputzes, die Fensterverblechungen stellten sich überraschend als Schadensquelle heraus. Sie wurden abgenommen. Die Putze hingegen, von denen Pitz & Hoh, die Brandenburgische Denkmalpflege und die Bauherren, die Stiftung Wüstenrot und das Astrophysikalische Institut Potsdam, angenommen hatten, daß sie unrettbar verrottet seien, konnten aufgrund der Forschung zu 80 Prozent bewahrt werden. Aufgetragen wurde also kein fiktiv "originalgetreuer" neuer Spritzputz, sondern der vorhandene bewahrt und sorgsam ergänzt sowie mit einer neuen Tünche gestrichen, die das Gesamtbauwerk wieder vereinheitlicht. Nur im Streiflicht sind die Flicken zu sehen. Ähnlich vorsichtig wurde auch das Innere des Gebäudes behandelt, mit lackierten Handläufen und den Möbeln Mendelsohns eine ganz eigene, wenn auch nur bei seltenen Führungen sichtbare Sensation. Denn der Einsteinturm wird immer noch für seinen ursprünglichen Zweck genutzt, für die Sonnenforschung und die Ausbildung.

Diese Sanierung sollte ein Modell werden. Bei geringen Kosten von gerade einmal 2,8 Millionen Mark entstand hier kein perfekt staub- und geschichtsfreies Präparat. Im Gegensatz etwa zur Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die heute nicht nur "wie neu" aussieht, sondern tatsächlich kaum noch Originalsubstanz zu zeigen vermag, wurde der Einsteinturm dank dieser Detailversessenheit mit allen Schrammen bewahrt, nicht nur als wiederbelebtes Kunstwerk, sondern auch als historisches Objekt.

Einstein selbst übrigens war wohl nur ein einziges Mal in dem berühmten Turm. Kommentar: "Organische Architektur?" Von Architektur verstand Einstein nicht viel. Und insofern wäre zu überlegen, ob nicht im Eingangsraum neben seine Büste die Erich Mendelsohns gestellt werden sollte.

NIKOLAUS BERNAU

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