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Der Schriftsteller Günter Herburger.

©  Catherina Hess

Zum Tod von Günter Herburger: Ein romantischer Anarchist

Er war ein von seinen Kollegen geschätzter Schriftsteller und ein leidenschaftlicher Ausdauerläufer. Zum Tod von Günter Herburger.

Letzte Woche erreichte mich eine Postkarte: Günter Herburger bedankte sich für eine Sendung, die ich zu seinem 85. Geburtstag gemacht hatte. Die Karte war offenbar ein Jahr lang durch die Gänge des Deutschlandfunks gewandert, und so verstand ich erst gar nicht, welchen Beitrag er meinte. Er schrieb dann aber auch gleich weiter, wie schlecht es ihm ginge, und dass er sich niemals vorgestellt hätte, dass sein Leben so elend enden würde. Während unseres letzten Gesprächs hatte er dennoch nicht aufgegeben, denn „wer küsst meine Tochter, wenn ich nicht mehr bin?“

Die behinderte Tochter wohnte da noch bei ihren Eltern in der Blissestraße. Bei einem Unfall sind die beiden nun ums Leben gekommen. Günter Herburger verstarb am 3. Mai im Krankenhaus.

Aus dem Allgäu war die Familie vor einigen Jahren wieder in jene Stadt gezogen, die Herburger noch aus den sechziger Jahren kannte. Er erhoffte sich wieder mehr Anschluss an die Literaturszene, als deren pulsierendes Herz Berlin spätestens seit Anfang unseres Jahrhunderts galt, aber ein Siebzigjähriger, der sperrige Romane schrieb und seltsame Lyrik, war zu Zeiten des Fräuleinwunders nicht unbedingt gefragt.

Mit fünfzig Jahren entdeckte Herburger den Langlauf

Herburger wurde immer mehr zu einem writer’s writer – von den Kollegen geschätzt, aber vom Publikum kaum beachtet. Sein einziger kommerzieller Erfolg waren die aus dem Geist der Revolte geschriebenen Kinderbücher um eine fliegende Glühbirne Mitte der siebziger Jahre. Seine treuesten Fans aber fand er unter den Lesern seiner mitunter halluzinatorischen Laufbücher, „Traum und Bahn“ etwa oder „Schlaf und Strecke“. Mit fünfzig Jahren hatte Herburger den Langlauf für sich entdeckt, lief bald Marathon um Marathon, und als ihm das nicht mehr genügte, lief er eben Ultramarathons: Achtzig Kilometer am eisigen Polarkreis entlang oder, beim „Marathon des Sables“, zweihundert Kilometer durch die Wüste.

Von diesem letzten Lauf berichtet er in „Humboldt“, einem seiner schönsten Bücher. Mir erzählte er einmal, wie genau bei diesem Lauf seine Zehen anfingen zu bluten, und wie das Blut aus den Turnschuhen in den Wüstensand sickerte. „Aber deswegen hört man ja nicht auf zu laufen“, sagte er ohne jede Ironie, „nur weil einem die Zehen bluten“. Mir fällt ein Foto ein, das Herburger als Indianer verkleidet zeigt. Ein Indianer kennt keinen Schmerz.

Ein liebevoller und herzlicher Mensch

Ja, Herburger war von beängstigender Unbedingtheit, im Leben wie im Schreiben. Seine Laufbücher werden darum überdauern, und auch sein letzter Roman „Wildnis, singend“ zeigt, auf welch unvergleichliche Art und Weise Schönheit und Wildheit bei ihm in eins fallen konnten. Er war ein Märchenerzähler, ein romantischer Anarchist, ein so liebevoller wie herzlicher Mensch.

Als ich letzte Woche seine Postkarte aus dem Briefkasten zog, lag darin auch das neue „Jahrbuch der Lyrik“, und obwohl die Postkarte davon sprach, dass er eigentlich gar nicht mehr schreiben könne, findet sich im Jahrbuch ein neues Gedicht von ihm. Es ist Gottfried Wilhelm Leibniz gewidmet, jenem barocken Universalgelehrten, zu dem Herburger wohl eine gewisse Nähe verspürte, weil der ebenfalls keine halben Sachen gemacht hatte: „Das Gute in Einklang mit uns?/ Das Böse als Verführer/ bis zum Lebensende,/ das schrecklich gewesen wäre?/ Leibniz schrieb keine Gedichte/ über Tauben und Drosseln,/ sondern verspeiste sie,/ ausgenommen und gebraten.“

Mögen diese Tauben Herburger, wo immer er jetzt ist, ebenso in den Mund fliegen.

Am 28. Mai um 19 Uhr findet im Buchhändlerkeller in der Carmerstraße 1 eine Gedenkveranstaltung zu Ehren Günter Herburgers statt.

Tobias Lehmkuhl

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