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Kultur: Ein strahlender Verlierer

Experimente, Reminiszenzen und Passionen: Beck Hansens überraschender Solo-Auftritt in Berlin

„Auf der Bühne will ich Spektakel. Ich will da raus, tanzen, dem Publikum Geschenke machen“, sagt Beck. Und summt eine Melodie. „Als Showman finden mich die Leute interessant. Privat bin ich nämlich eher ein Langweiler“. Umso interessanter, dass der seit ein paar Jahren wie ein Pop-Gott verehrte Beck Hansen diesmal als Solomusiker nach Berlin kam, ganz ohne Bühnenspektakel und Tanzerei. Und man fragte sich: Kann das gut gehen, so ganz ohne Band?

Auf der schlicht gehaltenen Bühne der Passionskirche: vier um einen Schemel akkurat dekorierte Gitarren, links ein Klavier, rechts zwei Drum-Machines und ein Keyboard, eine indische Hausorgel, allerhand Second- Hand-Schnickschnack – „Ich bin eine One- Man-Group“, wie Beck stolz verkündet. Der engelsgesichtige Pop-Entertainer strahlt bis über beide Ohren. Er bestaunt das Kirchenrund und reckt die Fäuste ins Publikum: Als saturierter Showman ist die auf leisere Instrumente reduzierte Songdarbietung für ein vernünftiges Experiment, das ihn zurück zu seinen Wurzeln als Straßenmusiker führen soll. Und, klar: Warum nicht? Erschien der 33-jährige Kalifornier nach einer steilen Karriere in den frühen Neunzigern, in der er wie kein anderer aus Folk, Funk und HipHop MTV-kompatible Hits schmiedete, zuletzt mit seinen perfektionistischen Musikcollagen eher wie ein professoral verbissener Studiomusiker denn wie ein zweiter Prince.

Inzwischen macht Beck deutlich weniger Brimborium um seine Musik. Der zuletzt von bitterlichem Trennungsschmerz geplagte Musiker ist in bestechender Form, sein Gesang ist trainiert, sein Spiel klug auf die Melodieläufe seiner komplexen Songarrangements konzentriert. Den schmierigen Rotlicht-Funk von „Nicotine & Gravy“ hämmert der Multiinstrumentalist, der an Tasteninstrumenten trotzig den Dilettanten markiert, mit unsanften Hammerfingern in die Orgel.

Und es bleibt trotzdem ein Genuss, diesem rotbäckigen großen Jungen zuzusehen, wie er die Instrumente auf seiner Bühnen-Spielwiese erforscht, drückt, zupft, schüttelt – und bisweilen dann doch in die Rolle des Performers fällt. Wie ein heruntergekommener Kaschemmen-Barde persifliert er zu den dünnen Rhythmen einer Billig-Beatbox seinen Bossa-Nova „Tropicalia“ als fadenscheinige Touristenromantik-Nummer. Und der auf Becks aktuellem Album „Sea Change“ wacker artikulierte Liebeskummer von „Lonesome Tears“ wird am Piano zum hingebungsvollen Kitschgebet à la Elton John. Der Mega-Hit „Loser“ dagegen wird kompromisslos zur Unwichtigkeit degradiert: genuschelter Rapgesang, ein Chorus ohne Hochgefühl, verzerrte Country-Gitarrenriffs und der erneute Einsatz der Beatbox machen aus der leicht angestaubten Generation-X-Hymne einen dahingerotzten Pflichtbeitrag zum „Greatest Hits“-Programm.

Für vier energisch geforderte Zugaben kommt Beck auf die Bühne zurück. Er zieht seine Lederjacke aus und zeigt schmächtige Oberarme, das Publikum kreischt. Der absurdeste Moment dieses überraschungsreichen Abends aber steht noch bevor. Fast am Ende, als Beck ausgerechnet mit „Sunday Morning“ die zuckersüßeste all der unzähligen Heroin-Oden spielt, die Lou Reed damals in den Sechzigerjahren geschrieben hat, erscheint die aufgeschlagene Bibel im Bühnenhintergrund des Kirchenaltars in strahlendem Weißlicht. Der Komiker Beck, so kommt es einem vor, holt sich den Segen für seine Experimente von überall her, wenn er ihn braucht. Sassan Niasseri

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