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Kultur: „Ein totes Huhn muss frisch sein“

Christoph Schlingensief über Hitlerfilme, das Saddam-Video und seine neue Berliner Talkshow

Herr Schlingensief, wo sind Sie?

Wir fahren von St. Malo nach Paris. Wir haben an der Atlantikküste Silvester gefeiert, Fisch gegessen und uns ausgeruht fürs neue Jahr. In St. Malo gab es ganze fünf Böller. Beeindruckend! Diese Ruhe.

Sie sitzen im Auto – haben Sie eine Freisprecheinrichtung?

Ich habe die Hände am Steuer und einen Knopf im Ohr.

Hier redet man über den Hitlerfilm „Mein Führer“ und Helge Schneider. Sie haben 1986 mit ihm auch einen Hitlerfilm gedreht.

Das war „Menu total“. Wir haben uns in einem Bunker eingeschlossen und uns mit unseren eigenen Obsessionen konfrontiert. Harte Bedingungen. Wir haben uns gleichsam mit verhaftet.

Wie komisch ist Hitler – als Kunstfigur?

Den Film von Dani Levy habe ich noch nicht gesehen. Aber ich bin mit Helge Schneider ja lange befreundet, und ich weiß, dass er entsetzt war über einige Entscheidungen, als der Film geschnitten wurde. Er hat sich da wohl heftig gewehrt, und einige andere Schauspieler auch.

Jetzt wird wieder oder immer noch debattiert, ob man über Hitler lachen darf.

Das ist eine künstliche Diskussion. Das bringt gar nichts. Damals beim „Untergang“ war das doch auch so. Eine große Zeitung aus Frankfurt schrieb seinerzeit, hier werde Hitler neu erfunden. Darauf kann ich verzichten – auch auf die gut koordinierte Hysterie darüber. Das sind automatisierte Diskussionen.

Muss man vielleicht in Deutschland Hitler alle paar Jahre neu erfinden?

So ist das wohl. Dabei wird Hitler natürlich nicht neu erfunden. Einerseits macht man klar, dass man in der Lage ist, sich eindeutig davon zu distanzieren. Andererseits kommt man nicht an die Abgründe heran, die in jedem Menschen schlummern. Man biegt sich die Welt gerade. Von „Spiegel“ bis Guido Knopp – immer wieder marschieren sie von links nach rechts, immer wieder wird analysiert. Aber zum Schwein in Ihnen, in mir dringt man nicht vor.

Wenn wir von Diktatoren reden – haben Sie das Video von Saddams Hinrichtung gesehen?

Im Fernsehen, in den Sat1-Nachrichten, wo es ansonsten um die sinkenden Arbeitslosenzahlen in Deutschland und die Gefahren von Kunstschnee ging. Der Film von der Hinrichtung wurde kurz vor dem Sturz in die Tiefe gestoppt, mit dem Hinweis, den Rest könne man den Zuschauern nicht zumuten. Interessant finde ich den Staatsanwalt, der da dick und fett im Sessel sitzt und beobachtet, wie das Video von der Hinrichtung gedreht wird. Dass Saddam noch verhöhnt und zum Märtyrer wird, ist eine gute Basis für Verschwörungstheorien, wie wir sie seit dem 11. September gut draufhaben. Wir kommen nie zum Kern. Denn jedes System hat seine eigenen Schutzmechanismen, ich erzähle auch nicht jedem meine Schweinereien, die ich im Kopf habe.

Sie inszenieren Oper, Theater, Filme. Wie beeinflussen solche unglaublichen, absurden, schrecklichen Bilder wie von der Exekution Saddams ihre Fantasie?

Irgendwo werden diese Bilder hundertprozentig im Theater auftauchen. Ich habe gestern lange mit Helge Schneider telefoniert und er hat spontan gesagt, wieso Hitler, das mit Hussein wäre es doch eigentlich gewesen! Und ich sagte: Eine halbe Stunde läufst du bei Massenerschießungen herum und lässt dich feiern, dann wirst du bombardiert, die nächste halbe Stunde findet im Erdloch statt, dann gibt es die Gerichtsverhandlung, das wird bestimmt sehr lustig – und die letzte halbe Stunde mit dem Krach unter dem Galgen. Bei „Idomeneo“ geht dann der Herr Schäuble mit dem islamischen Kollegen in die Oper, und der Punkt ist, dass der Christ wieder ruhig schlafen kann.

Apropos ruhig schlafen. Jetzt machen Sie in der Berliner Akademie der Künste eine Talkshow. Vor zehn Jahren haben Sie das schon einmal im Fernsehen gemacht, damals waren Sie noch berüchtigt. Fürchtet sich heute noch jemand vor Ihnen?

Naja, man wird gefragt, was man so vorhat in dieser Talkshow. Es ist inzwischen ein Ritual. Normalität ist eingekehrt, es gibt nicht mehr die große Provokation, und das muss man thematisieren. Das mit dem Saddam-Video ist eine Sache. Die andere ist: Wir waren jetzt am Mont Saint-Michel, und da rasen achthundert Japaner rum mit ihren Handys und starren auf das kleine Display. Man ist ja gar nicht mehr da. Der totale Ausverkauf.

Was wollen Sie an einem Ort wie dem Pariser Platz, in der Akademie?

Klaus Staeck, der Akademie-Präsident, hat mich gefragt. Ich finde diesen Ort und dieses gläserne Gebäude genau richtig für die Frage: Was ist eigentlich aus unserem Zeitbegriff geworden? Zum Hitlerfilm muss jetzt jeder sofort was sagen, aber das wirkliche Feuer der Debatten, das ist aus. Dieser Pariser Platz, das ist ja ein riesiges Grab. Man kann sich jetzt schon vorstellen, wie das enden wird.

Was heißt das?

Die britische Botschaft ist jetzt schon verbarrikadiert, dicke Poller überall. Und wenn die US-Botschaft eröffnet, ist es ganz aus. Wie wollen die das absperren? Dann kommt man nicht mehr durchs Brandenburger Tor, dann ist auch der Cafébesuch gegenüber schon gefährlich. Das Ganze wird ein Gelände, das man wahrscheinlich nur noch bei Google-Map aus dem Weltall anschauen kann oder mit einem 1800-Euro-Ticket vom Adlon. Deshalb ist dieser Ort ein ganz toller Ort für Berlin, das ja im Wandel ist.

Besuchen Sie die Akademie, solange sie noch steht ...

Und solange Sie sie noch besuchen können. Sorry, jetzt muss ich mal eben gucken, wo ich hier abbiege ...

Herr Schlingensief ...

Richtung Le Mans, da müssen wir jetzt rechts.

Es gibt eine Rennstrecke in Le Mans, da können Sie 24 Stunden im Kreis herum fahren.

Mal sehen, was in dem Golf so steckt. Jetzt habe ich durch die Verkehrsführung meine eigene Kopfführung verloren.

Wir waren bei der Akademie und Ihrer Talkshow.

Sich erinnern heißt vergessen, überblenden. Das sagt die Neurobiologie. Wenn ich einen Sauerbraten esse und am nächsten Tag beim Inder ein Safranhühnchen, dann schmeckt meine Erinnerung ein bisschen nach Sauerbraten, und das Safranhühnchen auch.

Um im Bild zu bleiben: Mit der Talkshow und der Akademie bringen Sie zwei manchmal recht tote Hühner zusammen.

Ein blindes Huhn wäre mir da lieber, das muss ich schon sagen. Und wenn ein blindes Huhn auch mal ein Korn findet, darauf setze ich eigentlich. Das tote Huhn muss aber frisch sein, dann esse ich es gern. Ich habe auch in meinen Theaterstücken Hühner auf der Bühne gehabt. Ich bin mit Klaus Staeck nicht dick befreundet, aber ich finde die Akademie reizvoll. Sie lassen, weil sie vielleicht auch nicht anders können, das jetzt zu mit meiner Talkshow. Jede Talkshow braucht eine Gedächtniskirche oder den Eiffelturm im Hintergrund, und ich bin eben am Brandenburger Tor.

Wann werden Sie in die Akademie gewählt, und vor allem, in welche Sparte?

Wie war das gleich noch mit dem neuen Berliner Kultursenator, das ist doch auch eine neue Sparte. Das nennt sich dann nicht mehr Kultursenator, sondern Bürgermeister.

Sie wollen also gleich Akademie-Präsident werden?

Auch im MoMA hat man für Klaus Biesenbach eine Sparte entwickelt. Es gibt eben ständig neue Sparten. Heißt das bei Ihnen in der Zeitung eigentlich noch Feuilleton?

Nein, es heißt schon lange Kultur. Vielen Dank für das Gespräch – und gute Fahrt.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

DER AUFREGER

Ein Mann für alle Kanäle. Ein Künstler des gesprochenen Worts. Jetzt geht Christoph Schlingensief mit seiner Talkshow Piloten an den Pariser Platz, in die Berliner Akademie der Künste (15. Januar).

Die Aktionskünstler Jonathan Meese und Hermann Nitsch und der Rapper Sido gehören zu den ersten Gästen des akademischen Schlingensief-Talks. Der Regisseur wurde 1960 in Oberhausen geboren. Bereits 1986 drehte er den Hitlerfilm Menu total , mit Helge Schneider und Udo Kier. In Bayreuth inszenierte er 2004 Richard Wagners Parsifal .

An der Berliner Volksbühne begann er 1993 seine Theaterkarriere mit der Performance 100 Jahre CDU . Mit „Fickcollection. A. Hipler“ ging er 2005 auf Deutschland-Tour. Seine bisher letzte Volksbühnen-Produktion war 2006 Kaprow City .

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