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Kultur: Einäugiger Protest

Zur neuesten Erregung der europäischen Intellektuellen

Von Hans Christoph Buch

Die vielstimmige Reaktion europäischer Intellektueller auf Äußerungen von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld („old Europe“) enthält Obertöne antiamerikanischer Hysterie und Untertöne selbstgerechter Empörung. Europa hat die Vereinigten Staaten in die Rolle des Weltpolizisten gedrängt, weil es zuletzt selbst nicht in der Lage war, der ethnischen Raserei auf dem Balkan Einhalt zu gebieten und Ordnung zu schaffen im eigenen Haus. Aber jedesmal, wenn die USA Menschenrechten und Demokratie Geltung verschaffen und militärisch einschreiten wollen gegen ein despotisches Regime, schreien die Europäer – allen voran die Deutschen – Zeter und Mordio. Das war schon im ersten Golfkrieg so und wiederholte sich in Bosnien, Kosovo und Afghanistan. Und immer malte die deutsche Friedensbewegung das Gespenst eines Weltkriegs an die Wand, obwohl es um die Eindämmung lokaler Brände ging, deren Opfer die Zivilbevölkerung war. Umgekehrt hat Washington zwar die Einigung Europas verbal unterstützt und forciert den EU-Beitritt der Türkei, aber jedesmal, wenn der Einigungsprozess Fortschritte macht, zeigt sich tiefsitzendes Mißtrauen, das von übler Nachrede zu offener Feindseligkeit oder – im Fall von Rückschlägen – bis zu unverhohlener Schadenfreude reicht: Das gilt für die Einführung des Euro ebenso wie für die Nichteinhaltung des Stabilitätspakts oder den Streit um eine gemeinsame europäische Verteidigung. So besehen, gleicht das Verhältnis zwischen Europa und den USA dem psychologischen double-bind eines alten Ehepaars, das sich weder trennen, noch harmonisch zusammenleben kann. Das klingt schrecklicher, als es ist, denn auch zwischen Deutschland und Frankreich gibt es divergierende Interessen, deren Ausgleich schwierig ist – man denke an den EU-Gipfel in Nizza. Aber die deutsch-französische Freundschaft ist den Regierungen etwas wert, Geld und guter Wille, der im Umgang der Bundesrepublik mit den USA und umgekehrt derzeit fehlt. Donald Rumsfeld gießt Öl ins Feuer mit seiner Bemerkung, Deutschland und Frankreich seien „ein Problem“, aber Bundeskanzler Schröder hatte die Flammen angefacht mit seinem angekündigten Nein im Sicherheitsrat, das schlecht zu den von der Bundesrepublik übernommenen Verpflichtungen passt .

Auch wer einem Alleingang der USA skeptisch gegenübersteht und die Einbindung der amerikanischen Strategie in UN-Beschlüsse wünscht, muss Rumsfeld in einem Punkt Recht geben: Die „jungen“ Staaten Ostmitteleuropas haben schmerzliche Erfahrungen gemacht im Widerstand gegen Fremdherrschaft und Diktatur, die Westeuropa erspart geblieben sind. Man denke nur an den Ungarnaufstand, das Kriegsrecht in Polen oder den Einmarsch in Prag. Begriffe wie Freiheit und Demokratie haben für Polen, Tschechen und Ungarn einen anderen Klang als für Westdeutsche, denen dies von den alliierten Siegern in die Wiege gelegt worden ist. Und das Bewusstsein von Werten, für die zu kämpfen sich lohnt, ist bei Völkern, die Opfer von Hitler und Stalin waren, intakter als bei uns, weil sie wissen, dass Frieden oft nur die von einer Diktatur verhängte Friedhofsruhe ist. Aber man täusche sich nicht: Auch in Frankreich, wo de Gaulles Waffenbrüderschaft mit den USA unvergessen bleibt, ist das Nein zu einem amerikanischen Militärschlag nicht so blindlings wie in der Bundesrepublik. Und was wäre gewonnen, wenn der Truppenaufmarsch am Golf – ohne Sturz des Diktators – wie das Hornberger Schießen endet, Islamisten und Terroristen Freudentänze vollführen und Saddams Präsidentengarde weiter foltern und morden darf?

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