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Kultur: Eine Affäre mit mir selbst

Isabelle Huppert über Zufälle und Katastrophen, Nähe und Distanz – und ihre Rolle in Michael Hanekes „Wolfzeit“

Hanekes „Wolfzeit“ handelt von den Gefährdungen unserer Zivilisation, die durch den internationalen Terrorismus stark verunsichert ist. Wie erleben Sie diese Zeitstimmung?

Wenn wir von Kriegen oder Naturkatastrophen hören, hat das gewöhnlich mit uns nichts zu tun. Das Fernsehen macht uns glauben, dass wir nahe dran sind, aber unsere Anteilnahme geschieht aus sicherem Abstand. Das ist ein Widerspruch unserer modernen Welt: dass wir zugleich nah und fern sind. Wir erleben die Welt wie durch einen Schalldämpfer. „Wolfzeit“ versucht, uns die Unmittelbarkeit einer Katastrophe erfahren zu lassen. Die Geschichte beginnt sehr unwirklich: Eine Familie kommt ins Ferienhaus, und der Mann wird erschossen. Nach und nach wird es immer realer, fast dokumentarisch. So kann sich der Zuschauer nicht hinter den schützenden Mechanismus von special effects zurückziehen. Das Spektakuläre im Kino ist ja auch nur eine Methode, uns etwas vom Leib zu halten. Aber „Wolfzeit“ ist keine Show. Es gibt lediglich Hunger, Durst, Angst, Erschöpfung.

Wie ändert das Ihre Arbeit als Schauspielerin?

Ich spiele eine ganz normale Frau. Der Zuschauer weiß nichts über sie, außer dass sie ein traumatisches Erlebnis hat. Gewöhnlich gibt es immer etwas, wohinter ich mich verstecken kann. Aber hier gibt es nichts, woran man sich halten kann. Als die Frau sieht, wie ihr Mann getötet wird, übergibt sie sich. Ich spiele gewissermaßen nackt.

Hat Ihnen das Angst gemacht?

Nein, ich kenne das.

„Wolfzeit“ ist ein extrem dunkler Film. Über weite Strecken sieht der Zuschauer kaum etwas. Wie ist es, ohne Licht zu spielen?

Wenn Michael Haneke auf klassische filmische Techniken verzichtet, heißt das nicht, dass er sein Handwerk nicht beherrscht. Er macht doch immer noch Kino. Die Dunkelheit, die Sie als Zuschauerin erleben, ist nicht dieselbe, die wir Schauspieler beim Drehen hatten.

Sie hatten Licht.

Ja. Das Publikum kann mein Gesicht kaum noch erkennen, aber es empfindet beim Anblick dieses verschatteten Gesichts vielleicht sogar intensiver, als wenn wir gut ausgeleuchtet wären. Die Dunkelheit schärft die Sinne. Das Kino ist eine unmittelbare körperliche Erfahrung: Hanekes Film will herausfinden, was es wirklich bedeutet, wenn die Menschheit im Dunkeln, im Chaos versinkt.

Ihnen ist Kontrolle wichtig. Gleichzeitig bedeutet Schauspielern für Sie eine Art Abwesenheit. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Ich glaube, dass oft mehr Leben und Ausdruck in einem vermeintlichen leeren Gesicht liegt als in all den Wörtern und Mienen. Es geht darum, zwischen den Bildern zu lesen. Viele amerikanische Filme fürchten diese leeren Momente, den Zwischenraum, das scheinbar Unnütze. Immer muss etwas geschehen, die Schauspieler müssen unentwegt agieren, reden, empfinden. Mich interessiert der Teil des Lebens, in dem nichts geschieht. Für diese Freiheit des Nichtstuns und des Nichtsfühlens ist ziemlich viel Kontrolle nötig. Denn es ist nicht leicht, sich den Spielregeln der action zu entziehen.

Bedeutet das auch Kampf mit dem Regisseur?

Es kommt auf dessen Sensibilität an. Und darauf, ob wir dieselbe Sprache sprechen. Mit Claude Chabrol verständige ich mich in einem anderen Code als mit Francois Ozon oder mit Haneke.

Und wo bleibt dabei der Zuschauer?

Ein Film, das sind in Wirklichkeit mindestens drei Filme. Der offizielle, der im Drehbuch steht, der heimliche Film im Kopf des Regisseurs und der Film im Kopf des Schauspielers. Ob der Zuschauer an unserem Geheimnis teilhaben kann, hängt davon ab, ob es gelingt, diese drei Filme miteinander zu verstricken – und daran, ob er Raum genug lässt für andere heimliche Geschichten.

Ist es frustrierend, wenn der fertige Film sich von „Ihrem“ Film unterscheidet?

Oh ja. Ich bin daran gewöhnt. Aber manchmal gibt es auch die umgekehrte Überraschung: Dass mein Film und der des Regisseurs vollkommen übereinstimmen. Bei Hanekes „Klavierspielerin“ war das so.

Die Spitzenklöpplerin, Madame Bovary, Medea: Sie spielen extreme Frauen. Und dann die österreichischen Heldinnen, in Ingeborg Bachmanns „Malina“ und Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“. Ein Zufall?

Es gibt keinen Zufall. Freud ist auch in Wien geboren (lacht). Mich haben nie die starken Frauen interessiert, sondern die Fragilen, die Schwachen und wie sie Stärken entwickeln. Schauspielerin ist ein Beruf, bei dem man etwas sehr Intimes preisgibt. Gleichzeitig braucht man Zuschauer. Ein Schriftsteller braucht Leser, aber nicht beim Schreiben. Wir brauchen das Publikum von Anfang an, sonst existieren wir nicht.

Sie stellen sich gern zur Schau?

Nein, anderen Schauspielern liegt das Extrovertierte mehr. Mir war der Akt, das Innere zum Vorschein zu bringen, wichtiger. Dabei bleibt mein Geheimnis gewahrt. Es ist wie im Krimi: Ich verrate etwas, und trotzdem finden die anderen es nicht heraus. Wenn ich spiele, habe ich eine Affäre mit mir selbst. Nur manchmal wird daraus auch eine Affäre mit dem Publikum.

Sie haben einmal gesagt, Schauspielern sei eine feminine Tätigkeit.

Es gibt aber auch großartige feminine männliche Schauspieler. Ich meine damit, dass man beim Spielen Macht aufgibt. Das fällt Männern oft schwerer. Schauspielern ist für sie schmerzhafter als für Frauen.

Trotz Ihrer Erfolge sagen Sie auch, Sie wären am liebsten Sängerin.

Das stimmt. Es gibt nichts Schöneres. Wörter haben einen begrenzten Sinn, die Stimme ist dem Diktat des Sinns nicht unterworfen. Und der Gesang ist unbegrenzt. Er rührt direkt an das Unbewusste.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

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