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Kultur: „Eine geistige Erneuerung fürs Deutsche Theater!“ Berlins Kultursenator Thomas Flierl über seine umstrittene Entscheidung für Christoph Hein

Herr Flierl, Ihre Entscheidung, den heute 60jährigen Schriftsteller Christoph Hein 2006 zum Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin zu machen, hat alle überrascht und viel Skepsis hervorgerufen. Wie kamen Sie auf den Autor Hein?

Herr Flierl, Ihre Entscheidung, den heute 60jährigen Schriftsteller Christoph Hein 2006 zum Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin zu machen, hat alle überrascht und viel Skepsis hervorgerufen. Wie kamen Sie auf den Autor Hein?

Der Gedanke war, jenseits des klassischen Intendantenkarussells jemanden zu finden, der geistige Substanz mitbringt, um das Theater zu erneuern; der quer denkt und damit die Möglichkeit schafft, aus den festgefahrenen Wegen herauszuführen.

Das Deutsche Theater ist eine der größten und kompliziertesten Bühnen Deutschlands. Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass jemand, der nie in seinem Leben administrative Verantwortung hatte und keine Erfahrungen besitzt, eine Institution zu leiten, gerade dieses Haus führen kann?

Ich kann die Frage nur als Ausdruck deutscher Intellektuellenfeindlichkeit verstehen. In anderen Ländern werden Dichter Minister, Botschafter und Präsidenten. Selbstverständlich wird sich Christoph Hein eine Gruppe von Mitarbeitern schaffen, die den Laden managen, und er muss den geistigen Überblick behalten. Das heißt auch, dass er sich in die Strukturen vertieft. Das hat er in den letzten Wochen für mich sehr nachvollziehbar und exakt gemacht. Ich habe keinen Zweifel daran, dass auch ein Autoren-Intendant das Deutsche Theater leiten kann.

Auch jemand, der nie Regie führte, dessen praktische Theatererfahrung als Dramaturg ein Vierteljahrhundert zurückliegt und dessen Stücke eher selten gespielt werden?

Es gibt ganz unterschiedliche Zugänge zum Theater. Es gibt regieführende Intendanten, Manager-Intendanten, auch Dramaturgen- und Schauspieler-Intendanten. Hein ist jemand, der geistig disponieren und im Team arbeiten kann. Er wird das Deutsche Theater neu aufrichten.

Es heißt, Heins Herkunft aus dem Osten hätte ihn für Sie prädestiniert?

Wer die feministische und anti-rassistische Debatte kennt, der weiß, dass diese Struktur von Argumentation fatal in die Falle führt. Endlich sollen Ost-West-Differenzen keine große Rolle mehr spielen – aber wenn ein Ostler vorgeschlagen wird, kann es nur daran gelegen haben, dass der politisch Verantwortliche auch aus dem Osten kommt. Diese Art von Stammesdenken kann ich nicht nachvollziehen. Ich halte das für eine rückwärtsgewandte Debatte, die stärker ein Licht auf die Fragesteller wirft als auf ein ernsthaftes Problem. Da muss irgendein Punkt berührt sein, der so enorm schmerzt, dass er sich in dieser Form ausspricht. Erstaunlich!

Hein hat offenbar mit den Regisseuren Alexander Lang, Leander Haußmann und Dimiter Gottscheff über eine enge Zusammenarbeit gesprochen. Gottscheff hat wohl schon abgewunken. Lang hatte seine große Zeit als Regisseur vor über einem Jahrzehnt und inszeniert heute an mittleren Theatern. Haußmann dreht heute vor allem Filme. So soll das Deutsche Theater wieder zu einer bedeutenden Bühne werden?

Zunächst ist der Intendant nominiert. Seine erste Spielzeit beginnt im September 2006. Es bleibt also genügend Zeit für Christoph Hein, sich seine Mannschaft zusammenzusuchen. Es geht um eine innere geistige Übereinstimmung. Es braucht prägende Regisseure und mehr Konzentration, nicht nur das Management von durchreisenden Regisseuren und Produktionen.

Haben Sie eigentlich mal Frank Castorf gefragt, ob er das Haus übernehmen möchte: der stärkste Berliner Regisseur ans größte Berliner Theater?

Ich weiß, dass das die Lieblingsidee einiger Theaterkritiker ist. Ich glaube, dass sich Castorf mit seiner Ästhetik sehr deutlich entschieden hat. Außerdem bin ich froh, dass er seinen Vertrag an der Volksbühne bis 2007 verlängert hat. Er hat eine andere, mediengestützte Ästhetik entwickelt, mit der entsprechenden Infrastruktur an der Volksbühne. Ich glaube auch, dass in der Stadt ein breiteres Bedürfnis nach einem erneuerten Deutschen Theater besteht.

Als bürgerliches Literaturtheater.

In der zeitgenössischen Orientierung an kritischer Klassikrezeption und der Rezeption klassischer Theatertradition, ja.

Haben Sie mit so erfahrenen Intendanten wie Ulrich Khuon, Frank Baumbauer oder Wilfried Schulz gesprochen? Oder verdanken wir Ihre wagemutige Wahl einer einsamen Entscheidung?

Es gab durchaus verschiedene Gespräche, es gab Berater aus Ost und West, auch mit Baumbauer habe ich eine intensive Debatte geführt.

Stört es Sie nicht, dass ein Großteil der ernst zu nehmenden Theaterkritik irritiert bis entsetzt auf Ihre Entscheidung reagiert hat?

Ich sehe erst mal, dass mein Vorschlag quer zu den Erwartungen steht. Die Unterstellung aber, es sei eine ost-geprägte Entscheidung ist völlig jenseits der Spur. Ich halte es auch für eine verletzende Arroganz, Christoph Hein mit einer Rückkehr zum „DDR-Nationaltheater“ zu identifizieren. Solche Ressentiments zu reproduzieren, spaltet das Land.

Was aber qualifiziert Hein? Seine Stücke allein können es doch nicht sein.

Seine Dramatik war nicht der ausschlaggebende Grund für meine Entscheidung. Mir geht es um den Intellektuellen mit Übersicht, nicht um den Hausautor.

Dann hätten Sie auch jemanden wie Enzensberger, Sloterdjik, oder Jürgen Habermas fragen können. Ihre Stellenbeschreibung des „Intellektuellen mit Übersicht“ ist sehr allgemein.

Hein hat eine enge Beziehung zum Theater. Es ist eine enorm komplexe Herausforderung für ihn, und ich glaube, dass er ihr gewachsen ist – als Repräsentant des Deutschen Theaters und als jemand, der auch Orientierung in das Theater selbst hineinträgt, der mit anderen künstlerischen Persönlichkeiten, mit Regisseuren, Autoren, Schauspielern zusammen Theater erarbeitet. Gerade geistige Haltung wird jetzt am Deutschen Theater von vielen Seiten vermisst, und das zu ändern, vermag Hein wie wenige andere.

Der Intendant als erster Sinnstifter?

Zumindest als jemand, an dessen geistiger Haltung man sich reiben kann, und der nicht in Gefahr gerät, keine starken Regisseure zuzulassen: Er braucht sie ja und muss deren Zusammenhang stiften.

Man hat Christoph Hein nur selten in München oder Hamburg oder Wien im Theater gesehen. Gehört er zur gegenwärtigen deutschen und internationalen Theaterszene?

Ich weiß nicht, ob man ein Teil der gegenwärtigen Theaterszene sein muss, um das DT zu leiten. Man muss Zugänge haben und die Szene beobachten, das kann Hein. Vielleicht ist es ja gerade eine Stärke, nicht Teil des etablierten Netzwerkes zu sein. Vielleicht erklären sich die empfindlichen Reaktionen auf die Berufung auch daraus, dass das System der alten Netzwerke getroffen ist, weil es keiner aus der eigenen Reihe geworden ist.

Hein ist ein zurückhaltender, eher introvertierter Mann. Das ist sympathisch, aber für einen Intendanten denkbar ungünstig.

Weshalb muss ein Intendant ein Berserker und ein Despot sein? Wenn es auf den intellektuellen Dialog ankommt, kommt es auf die Argumente an, auf Rede und Gegenrede.

Kann es sein, dass Sie den Intellektuellentraum vom herrschaftsfreien Diskurs träumen und Ihnen dabei entgeht, dass es auch so etwas wie Metierkenntnis, Handwerk braucht, um ein Theater zu leiten?

Für das Management hat Hein einen guten Geschäftsführer. Die interessante Frage ist doch, wie ein geistiger Neubeginn am Deutschen Theater entsteht. Wenn sich alles nur auf Handwerk und Management beschränkte, müsste man am Theater zweifeln.

Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

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