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Kultur: Eine kleine Machtkritik

Im Geiste von Attac: Die Schaubühne holt Fausto Paravidinos Anti-Globalisierungsstück „Genua 01“ als deutsche Erstaufführung nach Berlin

„Kommunismus, ist das noch ein Begriff?“, fragt der Schauspieler Mark Waschke im Revoluzzer-Outfit das Publikum im Studio der Schaubühne. „Anti-Imperialisten, das sind die, die mit dem System so richtig Probleme haben. Und die Leute von Attac wollen eine weltweite Tobin-Steuer einführen. Tobin-Steuer, ja, das erkläre ich später...“ Danke für den Nachhilfeunterricht. In Wulf Twiehaus deutscher Erstaufführung von „Genua 01“ geht es ziemlich direkt und unprätentiös zu: Agitprop-Theater, das rockt und es ernst meint mit den Parolen von einer anderen Welt, die möglich ist. Und gleichzeitig das Revolutions-Pathos mit lässiger Ironie unterläuft. Wichtigste Utensilien der vier entschlossenen Revolutionäre (Jule Böwe, Stephanie Eidt, Cristin König, Mark Waschke) auf der kleinen Bühne sind Sonnenbrillen, coole Gesten und ein Megafon. Ihre Kapitalismuskritik braucht neben ein paar politischen Grundüberzeugungen vor allem eines: Ein schick radikales Outfit. Einerseits ist das ein halbironisches Remake historischer Revoluzzer-Posen mit erhobenen Fäusten und rotem Stern auf dem Military-T-Shirt, andererseits meint es die Aufführung durchaus ernst damit, ein paar Fakten unters Theater besuchende Volk zu bringen. Zum Beispiel mit der Erinnerung daran, dass, während in den reichen Ländern über Konjunktureinbrüche geklagt wird, Milliarden Menschen von weniger als drei Dollar am Tag leben. Die in wenigen Wochen schnell aninszenierte, in Teilen improvisierte Produktion will kein raffiniertes Kunstwerk sein, eher ein kleiner, schmutziger Theaterabend, der ein wütendes Statement vorbringt.

„Genua 01“ ist eine schnell geschnittene Montage aus Momentaufnahmen, verkürzten Reflexionen und Erinnerungssplittern, ein halbdokumentarisches Stück über die Proteste gegen den G 8-Gipfel in Genua vor zwei Jahren: „Der G8-Gipfel, das Fest der Mächtigen, bei dem sich die acht selbst ihre Macht bescheinigen und zeigen, wie mächtig sie sind. Diese kleine Inszenierung kostet 130 Millionen Euro.“

Die Stadt war vom Sicherheitsapparat der Regierung Berlusconi zu einer Art Festung umgebaut worden, in deren gut bewachten Zentrum die Staats- und Regierungschefs der reichsten Industrienationen tagten. 250000 Demonstranten standen paramilitärisch aufgerüsteten Polizeitruppen gegenüber, die Tränengas in friedliche Demonstrationszüge schossen und wahllos Demonstranten verprügelten. Ein Demonstrant, der dreiundzwanzigjährige Carlo Giuliani, wurde von einem Carabinieri ermordet. Der Fahrer des gepanzerten Polizeijeeps, der zwei Mal über den angeschossenen Schwerverletzten fuhr, gab später zu Protokoll, er dachte, was er da überrollt hatte, sei „Müll“ gewesen. Diese Szenen werden auf der Bühne immer wieder aufgerollt, fragend und wütend berichtet – und in der Frage ob es Mord oder Notwehr war, polemisch und empört zugespitzt: Theater als eine Art Informationsdienst unterdrückter Nachrichten. Das Stück hat keine durchgehenden Rollen, keine psychologisch differenzierten Figuren. Die vier Schauspieler teilen sich die kurzen Textblöcke und erfinden dazu spöttische oder kämpferische Miniszenen. Jule Böwe zum Beispiel verschwindet auf dem Boden sitzend bis zum Hals zwischen großen Autoreifen und sagt mit naiver Kinderstimme, eher tastend als selbstgewiss, dass es offenbar „Interessen gibt, die uns wichtig sind und die von den G8 sicher nicht vertreten werden.“

Fausto Paravidino, der sechsundzwanzigjährige Autor von „Genua 01“, dürfte derzeit einer der spannendsten jungen Dramatiker Italiens sein. Er kommt aus Genua, aber am Wochenende der G8-Demonstrationen war er in Frankreich, um an einem Theaterworkshop teilzunehmen. „Ich habe dieses Stück aus Wut über den Polizeiterror in Genua geschrieben“, sagt er im Gespräch einen Tag vor der Premiere. „Weil ich nicht bei den Demonstrationen dabei war, wollte ich wenigstens mit einem Theaterstück Stellung beziehen. Meine Waffe ist das Theater.“

Entsprechend kämpferisch und zugespitzt ist sein Stück. Aber Paravidino ist ein raffinierter Dramatiker: Die Wut über die Regierung Berlusconi und die Brutalität der Polizei wird immer wieder von Sarkasmus und Ironie gebrochen. Kein pathetisches Polit-Theater im Stil der Siebzigerjahre, sondern ein schnelles, heftiges Statement, ein Versuch, mit dem Theater Gegenöffentlichkeit herzustellen. Dass das angesichts der unter Berlusconi zunehmend gleichgeschalteten Kultur- und Medienszene Italiens nicht ganz einfach ist, musste der Dramatiker mit der italienischen Uraufführung des Stücks erleben: Die Produktion einer Theatergruppe aus Pistoia wurde vor der Premiere vom Theaterdirektor abgesetzt, weil sie ihm politisch zu riskant schien. Die in Rom gezeigte Inszenierung erlebte nur sechs Aufführungen. Und eine geplante Lesung des Stücks im Rundfunk wurde, welch ein Zufall, ebenfalls abgesagt.

Wieder am 10.,11.,13. und 15. Juni.

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