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Kultur: Eine preußische Verfritzung im jugendbewegten Sinn

Funktionieren Geschichten im Kino nur, wenn sie das Gewöhnliche zeigen? Eindrücke vom "Europäischen Salon für die Liebhaber des jungen Films" in PotsdamVON SILVIA HALLENSLEBENDie Idee ist simpel und einleuchtend.

Funktionieren Geschichten im Kino nur, wenn sie das Gewöhnliche zeigen? Eindrücke vom "Europäischen Salon für die Liebhaber des jungen Films" in PotsdamVON SILVIA HALLENSLEBENDie Idee ist simpel und einleuchtend.Warum nicht mit einer Friedrich-Zwo-Reihe das widerspenstige Potsdamer Publikum dazu bringen, mehr als die ortsüblichen 1,1 Kinobesuche pro Jahr zu absolvieren? Natürlich nicht irgendwo, sondern daheim, beim Potsdamer Filmfestival.Flötenkonzerte als Lockmittel fürs Kino? Für ein Festival, das sich im Untertitel galant "Europäischer Salon für die Liebhaber des jungen Films" nennt, schiene das standesgemäß.Ob das so anvisierte Publikum aber gerade das wäre, was ein junges Filmfestival wie das Potsdamer braucht, ist allerdings die Frage. Obiger Vorschlag kam bei einer Diskussion, die als eines von vier angesetzten "Salongesprächen", dem Potsdamer Festival, seiner Identität und Zukunft selbst gewidmet war.Eine gute Idee, schon, weil hier schwelende Konflikte wenigstens einmal dem Publikum am Schauplatz selbst serviert wurden.Zu wenige wollten in der Vergangenheit die Filme sehen.Zu konturenlos waren Auswahl und Programm.Festivalatmosphäre kam auf den paar Metern zwischen Eingang und Filmsaal im Filmmuseum erst recht nicht auf. Der Umzug aus dem steifen Filmmuseum in die moderne Architektur des neuen Thalia-Kinos war eine gute Idee.Das Vier-Säle-Kino, neuester Zuerwerb des Sputnik-Zaren Stefan Arndt ist ein angenehmer Kinoort.Und die Vorführbedingungen lassen wenig zu wünschen übrig. Das zentrale Foyer, ein gelungenes Beispiel multifunktionaler und kommunikationstauglicher Architektur, vormittags Spielplatz, nachmittags Wartestelle, verwandelte sich allnächtlich in eine Partyzone für die Festivalgäste und viele Potsdamer Kids.Festivalleiterin Irina Knochenhauer nämlich setzt weniger auf die Liebhaber des jungen Films als auf die Jugend selbst, die Generation der 18- bis 25jährigen.Statt preußischer Nostalgie also eine Verfritzung im jugendbewegten Sinn.Das scheint zu klappen, auch wenn es manchmal, zum Beispiel mit einer Programmsektion, die sich mit dem Titel "Generation X" peinlich verspätet an einen längst eingefahrenen Zug anhängt, ein wenig sehr nach Anbiederung aussieht.Dabei zeugt es von kluger Souveränität, Filme wie Yolande Zaubermans "Clubbed to Death", der schon auf dem Forum der Berlinale lief und wohl in Potsdam keine Chance hat, je regulär ins Kino zu kommen, hier einzusetzen. Das Konzept scheint aufzugehen.Der Schwachpunkt dieses Festivals aber sind seine Filme.So war die Vergabe des Spielfilmpreises an den neuen Film des Niederländers Alex van Warmerdam "De Jurk" (Das Kleid) eine offensichtliche Verlegenheitslösung.Die Geschichte eines bunten Sommerkleides, das seine Trägerinnen, eine nach der anderen, ins Unglück stürzt.Eine hübsche Idee, hübsch gemacht, ein Film aber, der nachdem er sich gerade entfaltet hat, in sich zusammenstürzt wie ein nicht aufgegangener Kuchen.Auch "Die neue Mutter" der Niederländerin Paula van der Oest ist ein Film, der an einem eigentlich interessanten Thema erzählerisch scheitert.Ein Roadmovie zwischen Ost und West, dem doch jeglicher Sinn für Raum, Zeit und filmische Wahrscheinlichkeit abgeht.Wie sollen wir es nachvollziehen, daß ein Lette mit seinem kleinen Auto heil bis in die Niederlande tuckert, um dann in diesem klitzekleinen Land tagelang herumzuirren?! Niederländischen Filmförderung? Während von den Spielfilmen keiner richtig überzeugen konnte, wäre es im Dokumentarfilm nicht schwer gefallen, gleich mehrere Preise zu vergeben."La moindre des choses" von Nicolas Philibert, ein Film, der minutiös die Proben zu einer Theateraufführung in der französischen antipsychiatrischen Anstalt von La Borde dokumentiert, ist eine sympathische Wahl.Ein anderer Favorit wäre "Ist Erinnerung in Wasser löslich" des Franzosen Charles Najmann gewesen.Najmann hat seine Mutter porträtiert, die das KZ Bergen-Belsen überlebt hat.Die bekommt, wie viele andere französische Holocaust-Überlebende, von der deutschen Regierung Geld für eine zweijährliche Kur in Evian.Das Wasser fließt und spritzt in Strömen.Solange, Heldin des Films, taumelt bewundernswert auf dem Grat zwischen Verzweiflung und Lebensmut.Sie ist eine eitle Frau.Und es sind die Exzesse dieses Films, die übergroße Verehrung des filmenden Sohns für die dominante Mama, ihre peinlich überbordende Eitelkeit, die hier die Spannung ausmachen. Mit so einer Protagonistin hat ein Film vielleicht schon gewonnen.Der Russe Victor Kossakovsky hat in "Sreda" (Mittwoch) einfach alle Menschen herausgesucht, die, wie er, am 19.Juli 1961 im damaligen Leningrad geboren wurden."Sreda", ist, ohne jeden Kommentar, ein lebendiges Porträt der aktuellen russischen Gesellschaft geworden, in seiner Zufälligkeit auf ganz eigene Weise repräsentativ.Als die dicke kettenrauchende Ehefrau eines Drogensüchtigen am Ende nach Qualen ihre Tochter geboren hat, meint sie im Gesicht des Säuglings nicht etwa Ähnlichkeit mit ihren eigenen Zügen, sondern den Schmerz der ganzen Welt zu sehen. Nach solchen Szenen wirkt ein Film wie Claire Simons "Sinon, oui" trotz seiner aufregenden Fotografie und der knalligen Farben seltsam blaß.Simons Film beruht auf einer wahren Geschichte.Aber ihre Protagonistin wirkt auf seltsame Art unverständlich.Können Geschichten im Kino vielleicht nur noch funktionieren, wenn sie das ganz Gewöhnliche zeigen? Ist das Besondere am besten im Dokumentarfilm aufgehoben? Ist an Filmen wie obigen, auch an Karsten Laskes "Edgar" oder Misselwitz "Engelchen" nicht eigentlich problematisch, daß sie Geschichten, die dokumentarisch interessant und glaubwürdig wären, mit Schauspielern besetzen? Fragen über Fragen. In Potsdam hantiert man gern mit großen Zahlen.Zwölftausend Zuschauer, hieß es, sechstausend davon bei den Freiluftveranstaltungen.Millionen von Filmminuten.Im Saal war es trotzdem oft leer.Wäre weniger nicht mehr? Gräbt man sich mit nicht, bei einem begrenzten Publikumskontingent, irgendwann selbst das Wasser ab? Sind vier Programme gleichzeitig für ein Festival solch regionaler Größenordnung nicht ein bißchen viel? Kurz und gut: die Hälfte wäre eigentlich genug gewesen.Dafür etwas mehr Sorgfalt der Auswahl und vor allem bessere, gezielte Werbung für einzelnes aus dem Angebot.Wie will man jemand in einen Film locken, zu dem außer dem Titel nur ein halber Satz zu erfahren ist? Es war eine gute Idee, das Publikum mit Detlev Buck und einer Freiluft-Reihe mit britischen Publikumshits der letzten Jahre auf das Geschehen im Thalia-Kino aufmerksam zu machen.Aber sich solches, die Vorführung von Filmen also wie "Trainspotting" und "Secrets and Lies" von einer öffentlichen Stelle, dem Filmboard Berlin-Brandenburg, fördern zu lassen - geht das nicht doch ein bißchen weit?

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