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Kultur: Eins in die Fresse, Liebling

Die Zukunft ist weiblich: Die Box-Metropole Berlin würdigt das Faustkampfkino – mit einer Filmreihe im Arsenal

Die vom Boxen ausgehende Faszination ist episch und schlicht: Im Ring schlagen sich zwei, und wir dürfen dabei zuschauen. „Jeder Faustkampf markiert eine Grenzerfahrung, die das zivilisierte Bewusstsein zutiefst erschüttert: Zwei Männer kämpfen um ihr Leben“, schrieb der Journalist Michael Kohtes in seinem Essay „Boxen. Eine Faustschrift“. Die Faszination, die vom Boxen im Film ausgeht, ist ein bisschen weniger episch und schlicht: Auf der Leinwand schlagen sich zwei, und wir können uns bei Gefallen nachher die DVD mit dem Bonus-Material kaufen.

Der Boxerfilm ist fast so alt wie die Filmgeschichte selbst. Schon Charlie Chaplin und Harold Lloyd stellten sich in den Ring, um dort, der Komik wegen, gegen meist haushoch überlegene Gegner anzutreten. Das Image der Boxerfilme ist mies. Kulturinteressierte alter Schule heben die Augenbrauen bis zum Haaransatz, wenn man sie mit Faustkampf-Filmen konfrontiert. Einzig „Raging Bull“ lassen die meisten gelten. Immerhin Martin Scorsese. Und vielleicht noch „Million Dollar Baby“. Den aber mehr wegen der Lebensleistung des Regisseurs Clint Eastwood.

Am Donnerstag starten die Freunde der Deutschen Kinemathek unter dem Titel „Faust auf Auge“ eine zehnteilige Reihe, die sich ganz dem Boxen im Film widmet. Da 1993, im Rahmen der damaligen Sportfilmtage, schon einmal die Entwicklung des Genres von der Stummfilmzeit an gewürdigt wurde, lässt sich die Reihe als Aktualisierung verstehen: Gezeigt wird diesmal, was in den letzten zwölf Jahren boxerisch auf der Leinwand passiert ist. Das Arsenal-Kino am Potsdamer Platz ist ein guter Ort für so eine Reihe. Denn trotz aller Konkurrenz aus Hamburg, Köln oder München ist Berlin seit fast 100 Jahren Deutschlands wichtigste Boxstadt.

Am 7.November 1911 wurde Otto Flint im Berliner Circus Busch erster deutscher Meister im Schwergewicht und damit erster Titelträger der deutschen Profis überhaupt. Die Tradition der Amateure reicht sogar bis ins 19. Jahrhundert zurück. Später erlebte Max Schmeling hier die wichtigsten Jahre seiner Karriere. Gustav „Bubi“ Scholz wurde in Berlin Europameister und erschoss später seine Frau. Die Rocchigiani-Brüder brachten ihre wechselvollen Karrieren hinter sich, und vor wenigen Jahren zog mit der Sauerland-Promotion eines der beiden wichtigsten deutschen Boxunternehmen von Köln nach Berlin.

Manchmal leisteten die Berliner Boxer sogar einen kulturellen Beitrag zum Stadtleben. Max Schmeling spielte an der Seite von Anni Ondra in „Liebe im Ring“. Bubi Scholz war eine Doppelbegabung. „Marina“ hieß sein erfolgreichster Film, „Sie trägt Blue Jeans“ seine meistverkaufte Single. Zum Glück für das Arsenal-Publikum sind all diese Werke allerdings deutlich vor 1993 entstanden. Die Auswahl war für die Kino-Betreiber nicht leicht. Denn leider gibt es tatsächlich viele miese Boxerfilme. Die Drehbücher sind schlecht geschrieben, das erzählte Milieu wird irgendwie aus schweren Jungs, leichten Mädchen und schmierigen Managern zusammengebaut, die gesamte Dramaturgie verlässt sich darauf, dass am Ende eine anständige Prügelei als Showdown kommt.

Boxerfilme sind nur dann gut, wenn es in den Kämpfen um mehr geht als Sieg oder Niederlage. Robert De Niro scheitert als Jake La Motta, weil seine Gier auf immer neue Bestätigung nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft nicht mehr befriedigt werden kann. Rocky Balboa (gespielt von Sylvester Stallone) steht dagegen, blutend und verquollen, nach der finalen Niederlage gegen Weltmeister Apollo Creed mit erhobenen Fäusten im Ring. Weil er seine Selbstachtung, seine verlorene Ehre wieder erkämpft hat.

Um den stilbildenden „Raging Bull“ kommt man auch im Arsenal nicht herum, obwohl er bereits 1979 gedreht wurde. Außerdem läuft mit „When we were Kings“ ein großer Erfolg der späten Neunzigerjahre. Mit dabei auch Gerd Kroskes Dokumentarfilm „Der Boxfilm“ über den vor kurzem verstorbenen Schwergewichtler Norbert Gruppe, die schillerndste Figur, die das deutsche Boxen je hervorbrachte. Einen Schwerpunkt bilden Filme über boxende Frauen, angeführt von Clint Eastwoods oscargekröntem Drama „Million Dollar Baby“. Interessanter dürften hier allerdings die weniger bekannten Beispiele sein. „Cat“ etwa zeigt den Kampf der damals 24-jährigen US-Amerikanerin Cat Davis, die 1978 als erste Frau eine Profilizenz erhielt und danach legal antreten durfte. „Girlfight“ (2000) begleitet den fiktiven Weg von Diana aus Brooklyn, die gegen den Widerstand ihrer Familie und ihrer Mitschülerinnen in den Ring will. „Die Boxerin“ (2005) von Catharina Deus erzählt eine ähnliche Geschichte, diesmal mit der 17-jährigen Joe aus Mecklenburg als Protagonistin.

Es fällt auf, dass die Boxerinnen-Filme, ob fiktiv oder dokumentarisch, grob gesehen stets die gleiche Handlung haben: Eine junge Frau will kämpfen, setzt sich gegen Widerstände durch und darf am Ende kämpfen. Da Boxerinnen mittlerweile ein ganz normaler Teil des Profigeschäfts geworden sind – eine Athletin wie Regina Halmich bestritt bereits etliche Hauptkämpfe im Fernsehen – dürfte es bald Zeit für andere Geschichten werden. Leider vertrauen die Arsenal-Betreiber nicht allein auf das Boxen. Also wird auch der heillos überschätzte „Fight Club“ gezeigt, in dem zivilisationsmüde Männer sich zum Vergnügen halb tot prügeln, also ziemlich das genaue Gegenteil der Sportler tun. Und um „Clubbed To Death“ ins Programm zu hieven, einen Technofilm, in dem es auch irgendwie um das Aufeinanderprallen von Körpern geht, muss die Metaphorik des Boxens arg geweitet werden.

Das ist schade, denn in den letzten Jahren gab es andere Filme, die besser gepasst hätten: „Ali“ (2001) von Michael Mann etwa. „The Hurricane“ (1999), in dem Denzel Washington den schuldlos inhaftierten Mittelgewichtler Rubin Carter spielt. Oder warum nicht einmal reinen Blödsinn in die Reihe schmuggeln? „Die Superfaust“ mit James Woods? „The Great White Hype“ mit Samuel L. Jackson? „Knocked out“ mit Antonio Banderas und Lucy Liu? Auch alle diese Filme sind nach 1993 entstanden. Aber andererseits: gut zu wissen, dass eine Boxfilm-Reihe auch länger sein könnte.

Knud Kohr schrieb (mit Martin Krauß) das Buch „Kampftage – Die Geschichte des deutschen Berufsboxens“ (Werkstatt-Verlag). Derzeit arbeitet er an einem Drehbuch zu einem Boxfilm.

Die Filmreihe Faust aufs Auge beginnt am Donnerstag im Arsenal-Kino im Sony-Center, Potsdamer Str. 2 (Mitte).

DIE FILME

„When We Were Kings“ (Leon Gast, 1996),

„Raging Bull“ (M. Scorsese, 1979) am 3.und 6.9.;„Infight“ (Romuald Karmakar, 1994) am 4. und 7.9.;

„Clubbed To Death“

(Yolande Zauberman, 1996) am 10. u.12.9.;

„Der Boxprinz“ (Gerd Kroske , 2000) 11.9.;

„Cat – A Woman Who Fought Back“ (Jane Warrenbrand, 1978) am 13. und 14.9.;

„Girlfight – Auf eigene Faust“ (Karyn Kusama, 2000) 15.9. und 18.9.; „Fight Club“(David Fincher, 1999) am 16.9.;

„Die Boxerin“ (Catharina Deus, 2005) am 17.9. in Anwesenheit der Regisseurin;

„Million Dollar Baby“ (Clint Eastwood, 2004) am 17.9.

INFORMATIONEN

www.fdk-berlin.de

Knud Kohr

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