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Kultur: Eislauf verboten

Neue Supernova: Primaballerina Polina Semionova erhält morgen den Berliner Daphne-Preis

Von Sandra Luzina

Da steht sie: eine junge Frau in Jeans und Pulli, mit einer lebhaften, ungekünstelten Anmut und einem verschmitzten Lachen – nicht ganz unähnlich ihrer Lieblingsschauspielerin Audrey Hepburn. Und die nüchternen Berliner sind hin und weg. Wenn Polina Semionova, Erste Solistin des Staatsballetts Berlin, auf der Bühne steht, vollzieht sich fast unmerklich eine Verwandlung. Meist sind es verzauberte Mädchen, Traumgeschöpfe, die sie verkörpert, wie sie überhaupt nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint. „Aber dies sind doch nur Frauen, die fühlen“, sagt sie über ihre Rollen als herumgeisternde Bajadere und mondscheintrunkene Schwanenkönigin. Rollen, die ihr auch gleich zwei deutsche Auszeichnungen eingebracht haben: Morgen erhält sie den Berliner Daphne-Preis und am 26. Febuar den Deutschen Tanzpreis Zukunft.

Ihr Aufstieg mutet märchenhaft an: Als Vladimir Malakhov die Moskauerin entdeckte, studierte sie noch an der Bolschoi-Ballettschule. Nach Abschluss der Schule engagierte er sie vom Fleck weg. Sie war noch nicht ganz 18 und schon Erste Solistin. In nur zwei Jahren stieg sie zum hellsten Stern am Balletthimmel auf. Die Weltkarriere ist ihr vorgezeichnet. Doch die Umschwärmte fühlt sich keineswegs als Wundermädchen. „Es war nie leicht für mich“, erklärt sie in ihrem neu gelernten Englisch. Und natürlich war es für sie besonders schwer, sich von ihrer Heimat zu trennen: ein Schritt, den sie ohne die Ermutigung ihres Vaters vielleicht nie gewagt hätte, den sie aber nicht bereut – bis auf die Tatsache, dass sie die gewohnten langen Spaziergänge durch Moskau vermisst.

Sie ist angekommen, unter Freunden und in der neuen Kultur: Auf Tourneen schaut sie inzwischen am liebsten deutsches Fernsehen.

„An mein Talent habe ich lange nicht geglaubt“, erzählt Semionova. Dass sie sich so rasch an die Spitze getanzt hat, habe sie vor allem eiserner Disziplin zu verdanken. Mit acht Jahren wurde sie an der Bolschoi-Ballettschule aufgenommen, die als einer der härtesten Kaderschmieden der Welt gilt. Ein bisschen merkt man ihr auch heute noch den Schrecken an. Eine große Begabung wurde ihr damals nicht bescheinigt – als Talent galt ihr zwei Jahre älterer Bruder, wie sie Bolschoi-Zögling. Ständig hieß es: Das ist nicht perfekt! Das musst Du besser machen! Doch die Elevin ließ sich nicht unterkriegen. Nach den regulären Klassen ging sie allein in den Ballettsaal, um an sich zu arbeiten. Das tut sie noch heute, als Erste Solistin. Woher sie all die Energien dafür hernimmt, weiß sie auch nicht. „Du musst einen starken Charakter haben als Tänzerin“, erklärt sie. Und sie hatte den unbedingten Willen zu tanzen. „Wenn ich auftrete, bin ich zwar sehr nervös, aber ich empfinde vor allem Freude“, schwärmt sie. „Es ist wie ein Rausch. Hinterher fühle ich mich zwar körperlich erschöpft, aber ich schwebe wie auf Wolken.“

Technik ist für sie dabei nur eine Voraussetzung. „Eine Bewegung muss gefühlt werden, das ist das Wichtigste“, erklärt Semionova. Ihre education sentimentale verdankt sie auch der Literatur. Sie liebt Dostojewski und die Gedichte von Lermontov. Und sie hat ein Faible für tragische Liebesgeschichten, bei deren Lektüre sie schon mal in Tränen ausbricht. „Du musst lernen, den Schmerz zu lieben“, haben ihr die Lehrer damals gesagt. Zumindest im Leben einer Ballerina.

Polina Semionova darf längst nicht alles tun, wozu sie Lust hat – Eislaufen etwa ist verboten. Doch man merkt ihr an, dass sie mit sich im Einklang ist. Ihr Leben ist so, wie sie es sich von klein auf erträumt hat. Sie tut, was sie am besten kann – und erhält nun reichlich Anerkennung. Nur bei der Vorstellung, wohin ihre Karriere noch führen soll, wird ihr ein wenig schwindlig.

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