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„Empire of Light“ mit Olivia Colman: Im Retrolook gegen den Rassismus

Ruhig, nur ruhig: Sam Mendes’ in England spielendes Melodram „Empire of Light“ beschwört die gute alte Zeit des Kintopp. Die finsteren Seiten der beginnenden Thatcher-Ära verschweigt er dennoch nicht.

Adieu, du gutes altes Kino. Wenn nicht ein Wunder geschieht, geht es zu Ende mit dir: So vielleicht lässt sich der Schluss dieses Films entziffern, wenn die einsame Hilary (Olivia Colman), dienstbeflissene Teamchefin im guten alten Empire-Kino im südenglischen Küstenstädtchen Margate, sich zum ersten Mal in den Art-Deco-Saal setzt.

Nur für sie allein, die sich bislang immer geweigert hatte, einen Film anzuschauen, öffnet sich jetzt der rote Samtvorhang. Und nur für sie allein läuft auf der Leinwand Peter Sellers über Wasser, am Ende von „Willkommen, Mr. Chance“. Ja, es geht nicht mit rechten Dingen zu in Hal Ashbys Kultsatire, die von Wirklichkeitsverlust erzählt, und vom Einbruch der Realität.  

Auch in „Empire of Light“ dringt die rüde Wirklichkeit der beginnenden Thatcher-Ära in den Achtzigerjahren ins Refugium dieses traumhaft schönen Lichtspielhauses ein, das seine besten Jahre gesehen hat. Nur noch zwei der vier Säle werden bespielt, es sind die Arbeiter, die Migranten und die alten Leute, die sich ein Kinoticket für 1,50 Pfund kaufen, im Dachgeschoss – einst ein beliebter Tanzsaal – flattern die Tauben. Als eine Horde Skinheads auf der Uferpromenade demonstriert, splittern die Glastüren im Foyer. Hilary kann nur entsetzt zuschauen und hilflos eingreifen, als der neue Kartenabreißer Stephen (Micheal Ward), ihr heimlicher Lover, zusammengeschlagen wird.

Der junge Schwarze und die wesentliche ältere, an bipolaren Störungen leidende, mit Lithium ruhiggestellte, von ihrem Chef (Colin Firth) zu sexuellen Dienstleistungen gezwungene Hilary: eine zarte, unmögliche Liaison. Und doch findet diese Liebe einen Schutzraum im Empire-Kino mit seiner Belegschaft aus Außenseitern, darunter der schiefgesichtige Filmvorführer Norman (Toby Jones), die Punkerin Janine (Hannah Onslow) und der aufmerksame Eigenbrötler Neil (Tom Brooke). Einen mit Patina überzogenen, in warmes Licht getauchten Schutzraum, den die schwebende Kamera von Roger Deakins in detailreichen Tableaus und langsamen Schwenks einfängt.

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Vintagelook und Solidargemeinschaft contra Rassismus, dazu ein Retro-Soundtrack mit Cat Stevens, Bob Dylan und Joni Mitchell: Wäre nicht Olivia Colman, würde die Nostalgie überhandnehmen. Sam Mendes, Endzeit-Spezialist schon in „American Beauty“ und den Bond-Filmen „Skyfall“ und „Spectre“, hat erstmals ein Drehbuch alleine verfasst. Colman bricht seinen Wehmutston auf, dank ihrer schieren Unberechenbarkeit, mal verschlossen, mal impulsiv, mal mürrisch, mal strahlend. Mal zitiert sie seligen Blicks Auden-Gedichte, mal sprengt sie die von Zukunftshoffnungen begleitete Galapremiere und brüskiert ihren Chef samt Gattin, indem sie dem Ehepaar ein rabiates „To fuck or not to fuck“ entgegenschleudert.

Ob Coleman Pantoffeln am Heizöfchen vorwärmt oder beim Strandausflug mit Stephen wütend eine Sandburg zerstört: Kaum eine Schauspielerin beherrscht die Balance zwischen Zögern und Rage, Selbstbescheidung und sich Bahn brechender Vitalität so gut wie die britische, 2019 für „The Favourite“ oscarprämierte Schauspielerin.

Schade nur, dass Mendes mit seiner smoothen Ästhetik das Konfliktpotential des Plots entschärft. Tapfer verzichten Hilary und Stephen auf ihre Liebe, und als Hilary vom Sozialdienst samt Polizei erneut in die Psychiatrie verschleppt wird, verschwindet sie für die Dauer des Aufenthalts aus der Geschichte.

Lieber sucht die Kamera den Vorführraum auf, das mit Starfotos tapezierte Heiligtum des Kinopalasts, wo Norman das Zelluloid liebevoll in den Projektor einfädelt. Wir verdanken es der Schwäche unseres Sehnervs, erklärt er, dass wir das dunkle Stück Film zwischen den 24 Bildern pro Sekunde nicht wahrnehmen können. Nur weil wir die Dunkelheit übersehen, können wir der Leinwandillusion Glauben schenken.

So wird „Empire of Light“ zur Beschwörung einer zu Ende gehenden Kino-Ära – und zur Verteidigung unserer Sehschwäche. Den Sexismus und Rassismus, die sozialen Spannungen und das Wegsperren von Kranken in jener Zeit (auch Mendes‘ Mutter war bipolar) verschweigt der Film zwar nicht. Aber sein Rezept dagegen sind vor allem Tranquilizer.  

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