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Symbol des Sieges - Die Göttin Viktoria wacht als "Goldelse" über Berlin.

© dpa / picture alliance

Engelszungen (4): Künder & Kuppler

Ob Jahresendfigur, Hosianna-Sänger, Himmelsbote oder Kitschgestalt: Die geflügelten Gesandten sind gerade omnipräsent. Zeit für ein paar Zeilen über Wesen und Wirken der Engel – noch bis Silvester.

Die erste Engelserscheinung waren für viele Kinder, vor dem Triumph der neuen Medien, meist zwei pausbäckige Lockenköpfchen auf einem Wolkenkissen. Es sind die beiden Putten am unteren Bildrand von Raffaels „Sixtinischer Madonna“, deren Reproduktionen heute noch auf Millionen Weihnachtsbildern, Postkarten und Stickern für große und kleine Kinder die Vorstellung der himmlischen Spezies bestimmen. Im kollektiven Unterbewusstsein von Gläubigen wie auch Ungläubigen tun sie das wohl stärker als alle erwachseneren Flügelboten. Denn sonst wären Engel vielleicht nicht so grundsätzlich positiv besetzt: als Zeichen der Verheißung, Liebe, heiterer Sphären. In irdischen Glücksmomenten heißt es ja, ein Engel geht durchs Zimmer. Und selbst der gefallene Engel, Luzifer, wirkt viel weniger teuflisch als in Drachen- oder Schlangengestalt.

Dabei sind Engel doch eine höhere und zugleich humanisierte Form von Geflügel. Sie gleichen Menschen, denen aus dem Rücken gefiederte Flügel wachsen, die an Schwanen- oder Adlerschwingen erinnern. Das schaut, genau betrachtet, recht ungeheuer aus. Etwas total Tierisches entspringt da dem menschlichen Körper, schuppig und monströs.

Zwei Engel mit Schweinsköpfen

Das müssen wohl schon die Maler spätestens der Renaissance gemerkt haben. Weshalb, außer in der Gestalt der großen Erzengel wie Michael oder Gabriel, die den Menschen – etwa der Jungfrau Maria bei der Verkündigung oder den Hirten bei Jesu Geburt – erst mal mit einem beruhigenden „Fürchte dich nicht, fürchtet euch nicht“ begegnen. Und in der vorchristlichen Antike trat die geflügelte Göttin Nike alias Victoria von vorneherein als Symbol des Sieges auf, während der Götterbote Hermes/Merkur, der auch schlechte Nachrichten bringen konnte, seine Flugwerkzeuge allein am Helm trug. Und das geflügelte Dichterross, der Pegasus, war eben nur ein Pferd. Ein Pferd für das Königreich der geflügelten Worte.

Aber zurück zu den Malern oder Bildhauern. Sie haben uns die himmlischen Heerscharen zur Besänftigung am liebsten im nackigen, neckischen Kinderformat beschert: als Putti. Wie bei Raffaels Engelchen werden die unheimlichen Federschwingen hier eher zum Schmetterlingshauch. Und man achtet mehr auf die Lockenhäupter oder die Marzipanpopos. Damit ähneln sie auch dem Knaben Amor/Cupido, dem geflügelten Lust- und Liebesgott mit seinen Herzenspfeilen. Ein Engel als Bengel, ein Künder als Kuppler.

Von Raffaels Engelbengeln ließ sich 1890 übrigens auch der Chicagoer Fleischfabrikant Nathaniel Fairbank inspirieren und verwandelte sie in seiner Schmalzwerbung zu „Fairbank’s Cherubs“: zwei Engel mit Schweinsköpfen. Das leitet so über von Weihnachten zu Silvester. Das geflügelte Glücksschwein!

Bisher erschienen: die singenden Heerscharen (24. 12.), Verkündigungsboten in der Kunst (27. 12.) und Lichtgestalten im Kino (28.12.).

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