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Andreas Brantelid

© Mario Taramides

Englische Musik vom RSB: Sehnsucht und Resignation

Solide Einzelleistungen, aber kein gemeinsamer Interpretationsansatz. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Karl-Heinz Steffens mit englischer Musik um 1900.

Ach, was war das nicht eine schöne Zeit für Großbritannien, als es noch über zwei Fünftel der Landfläche weltweit verfügte und mithin das „Land der Hoffnung und des Ruhmes“ gewesen war. 1902 kam dieser Gassenhauer Edward Elgars heraus, und die Sehnsucht nach „seiner“ Epoche ließ den Komponisten nie mehr los. Nur 17 Jahre später lag die Welt zum ersten Mal im 20. Jahrhundert in Trümmern, und Elgar hatte Wesentliches zu beklagen: die Musik und die Weltenordnung, wie er beide kannte. In scheinbar endloser Larmoyanz brachte er sein Cellokonzert aufs Papier, und gepaart mit einer anderen Großtat englischer Melancholie, der zweiten Sinfonie von Ralph Vaughan Williams, besang das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) damit einen dritten Advent, wie er nicht trüber hätte sein können.

Elgars und Williams’ Resignation angesicht eines untergegangenen Zeitalters speiste sich auch aus dem Unverständnis gegenüber den Erneuerern der Musik, die mit Strauss oder Strawinsky den kontinentalen Fortschritt befeuerten und gnadenlos die Eklektiker hinter sich ließen. Obwohl Schicksalsgenossen wie Korngold jetzt wiederentdeckt und gleichsam rehabilitiert werden, haben es Elgar und Williams hierzulande immer noch schwer. Das überrascht deswegen, weil ihre in beinahe jedem Takt hörbare Sehnsucht nach der einstigen Ordnung hochaktuell ist. Immerhin lassen sie mit rührender Naivität die Auflösungserscheinungen einer durchökonomisierten Gesellschaft erkennen.

Steffens will die Werke unbedingt retten

Karl-Heinz Steffens, bis 2007 Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker und nun am Pult glühender Fürsprecher dieser englischen Musik, tut alles, um die Komponisten unter diesem Blickwinkel zu ihrem Recht kommen zu lassen, ihren absoluten Kunstwert zu präsentieren. Mit beeindruckender Schlagpräzision fordert er dem RSB profunde Einzelleistungen ab. Ein gemeinsamer Interpretationsansatz indes entwickelt sich daraus nicht.

Steffens will die Werke unbedingt retten und enthebt sie durch diese Art von Objektivierung paradoxerweise jeder Wirkung. Ihre ja durchaus verständliche Aussage bleibt historisch und damit distanziert. Das ist schade, weil die Leistungen des fabelhaft aufgelegten Orchesters und des zwar etwas manierierten, dafür aber tief empfindenden Cellosolisten Andreas Brantelid für sich genommen sehr wohl überzeugen. Die Gültigkeit der Werke über deren konkrete Entstehungszeit hinaus bezeugen sie aber nicht.

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