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Ensemble intercontemporain

© Foto: Promo

Ensemble intercontemporain im Berliner Boulez Saal: Der Wind, das Kind

Was kommt vor der Stille und wie klingt es danach? Das Ensemble intercontemporain unter Matthias Pintscher vertieft sich im Pierre Boulez Saal in den Resonanzraum der Töne.

Klang entsteht aus Reibung, Schwingung, Rauschen, Schlägen. Es gehört zum Wesen der Neuen Musik, dass sie Ursachenforschung betreibt, Töne zerlegt, Instrumente mit ihren Klappen und Saiten zweckentfremdet. Die Suchbewegung prägt auch den Abend des Ensemble intercontemporain unter Matthias Pintscher im Pierre Boulez Saal, mit drei Werken, die rund um die Stille angelagert sind.

Mark Andres 2021 uraufgeführtes, von Generalpausen durchsetzte Komposition „Wohin“ verfolgt die Geburt des Tons aus der Tonlosigkeit, ein Windhauch steht zu Beginn. Im Mittelpunkt: die Harfe, die über zwei Angelschnüre mit Gong und Tamtam verbunden ist. Valeria Kafelnikov bringt die Schnüre wie die Harfe zum Säuseln und Sirren, das 18-köpfige Ensemble fügt Fledermaus-hohe Frequenzen hinzu, Schwebungen und tröpfelnden Nachhall, knappe Schläge auf den Klavier-Korpus und zittriges Saitenspiel, mit Bleistiften statt Geigenbögen.

Ein luzides Gespinst, aus dem Spieluhr-Anklänge aus Schumanns „Kinderszenen“ herbeiwehen, das Raunen der alten Welt, unendlich fern, ersterbend. Leise donnern die Schlagzeuger mit ihrem Blech.

Klangexpeditionen und Tonschürfungen unternimmt das Ensemble intercontemporain, seit es 1976 von Pierre Boulez gegründet wurde. Im Saal an der Französischen Straße, der dessen Namen trägt und in dem die Pariser deshalb regelmäßig gastieren, gehen sie diesmal mit besonders großem Ernst zur Sache – sonst ist der Neuen Musik der Humor ja nicht fremd.

Das älteste Stück im Programm, Helmut Lachenmanns „Mouvement ( – vor der Erstarrung)“ von 1984, hört sich zunächst so an wie jene zarte Kakophonie, die ein alter, leise gedrehter Radioapparats beim schnellen Kurbeln durch die Sender hervorbringt. Lachenmann spricht selbst von einer „Musik aus toten Bewegungen, quasi letzten Zuckungen“.

Auch hier ist fast alles Percussion und Implosion: Die Klarinettisten pusten ohne Mundstück ins Rohr, der Kesselpauke wird auf den Kessel geschlagen, ein aufkommender energischer Drive läuft ins Leere. Auch Lachenmann atomisiert die Klänge, lässt sie entfliehen.

Matthias Pintscher dirigiert sein Triptychon „Sonic Eclipse“

Endlich Musik, denkt man nach der Pause beinahe, bei „Sonic Eclipse“ von Pintscher, der das Ensemble intercontemporain noch bis zum Ende dieser Saison leitet. Sein jedenfalls deutlich klangvolleres, auch verspieltes Triptychon erkundet die Besonderheiten der Trompete (Clément Saunier) und des Horns (Jean- Christophe Vervoitte), um sie im dritten Teil zusammenzuspannen.

Auch hier werden Netze ausgeworfen, in denen sich Sphärenklänge und herumwirbelnde Meteoriten verfangen. Bis der organisch pulsierende, mit geringen Tonschwankungen wie lebendig atmende Orgelpunkt des Kollektivs überhand nimmt und sich ein allerletztes Mal aufbäumt.

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