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Kultur: Er liebt sie, er liebt sie nicht

Es gibt Opern, in denen man irgendwann am liebsten auf die Bühne stürzen und mit allen Beteiligten ein klärendes Wort reden möchte: In Haydns "Armida" wird dieser Reflex bei jedem vernünftigen Menschen nach etwa nach einer Viertelstunde einsetzen.Denn dann ist bereits hinreichend deutlich, daß erstens Rinaldo ein bloßer Jammerlappen ist und sich Armida besser einen anderen suchen sollte, und zweitens, daß bei Rinaldos dauernden Einerseits-andererseits-Arien sowieso herauskommen wird, daß er sich von ihr trennt.

Es gibt Opern, in denen man irgendwann am liebsten auf die Bühne stürzen und mit allen Beteiligten ein klärendes Wort reden möchte: In Haydns "Armida" wird dieser Reflex bei jedem vernünftigen Menschen nach etwa nach einer Viertelstunde einsetzen.Denn dann ist bereits hinreichend deutlich, daß erstens Rinaldo ein bloßer Jammerlappen ist und sich Armida besser einen anderen suchen sollte, und zweitens, daß bei Rinaldos dauernden Einerseits-andererseits-Arien sowieso herauskommen wird, daß er sich von ihr trennt.Doch man bleibt sitzen, und die Oper dauert noch weitere achtzig Minuten, in denen sich Rinaldo und Armida in ihrer Beziehungsendphasen-Warteschleife wieder und wieder ansingen werden.

Sonst passiert in Haydns letzter vollendeter Oper fast nichts und in der Wiederbelebungs-Version, die Niels-Peter Rudolph und Thomas Hengelbrock für die diesjährigen Schwetzinger Festspiele erstellt haben, noch weniger.Denn alles noch an die märchenhafte Vorlageepisode aus Tassos "Befreitem Jerusalem" erinnernde Beiwerk und ein Drittel der Musik haben Regisseur und Dirigent geopfert, um das 1783 uraufgeführte Werk auf seinen statischen Grundkonflikt zu reduzieren: Von den vier übrigen Figuren ist eine ganz fortgefallen, die restlichen sind kaum mehr als Stichwortgeber ohne nennenswerten Eigencharakter (der ausgezeichnete Kobie van Rensburg hat als Rinaldos Freund Ubaldo zum Glück trotzdem noch viel zu singen).Ein radikaler Zugriff, der das Dramma heroico zum Kammerspiel umfunktioniert - Peter Mussbach war vor drei Jahren an der Hamburger Oper mit Glucks "Armide" ähnlich umgesprungen und hatte den endgültigen Bruch zwischen dem Kreuzritter und der Zauberin in ein schäbiges Hotelzimmer à la Hollywood verlagert.Auch bei Rudolph wird solch eine Modernisierung angedacht: Zwischendurch einmal taucht Rinaldo im schwarzen Designer-Anzug auf, während Armida im roten Abendkleid cool einen Revolver unter ihrer Stola hervorholt.Ein Hinweis darauf, wie das Beziehungsdrama hätte dramatisiert werden können, wie etwa aus Armidas herausgeschleuderten Fluch- und Verwünschungskoloraturen eine zornige, starke und zugleich verwundbare Frau hätte abgeleitet werden können.

Doch unternimmt Rudolph zu wenig, um die Figuren, die er so ins Zentrum rückt, auch interessant zu machen: Sein Rinaldo schwankt zwar zwischen Frau und Kreuzfahrerheer, doch ohne daß ein wirklicher Konflikt beider Sphären deutlich wird.Seine Armida rennt zwar ihrem Typen hinterher, doch was sie von ihm eigentlich erhofft, bleibt im Dunkeln.Statt dessen zielt Roland Aeschlimanns symbolistisches Bühnenbild auf Zeitlosigkeit.Farbwechsel an der Bühnenrückwand müssen reichen, um Ortswechsel zu signalisieren, ein mannshoher Zylinder rollt immer wieder im Schneckentempo über die Bühne - das Liebesnest Rinaldos und Armidas, das zum Schluß in beide Hälften aufgesprengt daliegen wird.Dabei hätte auch die Musik Haydns eine vergleichbare Zuspitzung gebraucht.

Um für sich selber sprechen zu können, bleibt sie mit ihren Schlacht-, Rache- und Fleharien zu schematisch, erreicht nie Glucks oder Mozarts Niveau individueller Charakterzeichnung.Von echter Verzweiflung ist da nichts zu hören, selbst nach der Trennung verharrt Armida in ihrer zürnenden Theaterpose.Die legt Iano Tamar quasi aus dem Effeff hin, die gestalterische Kraft, die Musik besser zu machen, als sie ist, besitzt sie nicht.Statt des erkrankten Premieren-Rinaldo Thorsten Kerl sang in der besuchten Vorstellung ein Ersatz aus dem Orchestergraben, während der Regisseur spielte - ein zusätzliches Handicap, das aber an den grundsätzlichen Problemen der Produktion nichts ändert.Auch Thomas Hengelbrock scheint am Pult seines Balthasar-Neumann-Ensembles nichts an der Entwicklung dramatischen Tiefgangs zu liegen.Forsch zieht er den Orchesterpart durch, als ob ihm das breitgetretene Beziehungsproblem auf der Bühne doch etwas peinlich wäre.Und damit hätte er vielleicht sogar recht - uninteressante Leute, die sich zanken, gibt es im richtigen Leben schon mehr als genug.

JÖRG KÖNIGSDORF

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