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Kultur: Er war 19

Der Fall István Szabó und das Erbe Ungarns

Seltsame Geschichte: Vor einer Woche wurde bekannt, dass Oscar-Preisträger István Szabó ein kommunistischer Spitzel war. Der vieldekorierte Grandseigneur des osteuropäischen Kinos kollaborierte nach dem Ungarn-Aufstand mit der stalinistischen Diktatur. Von 1957 bis 1963 schrieb er für den Geheimdienst Berichte über Professoren und RegieKommilitonen, darunter so international renommierte Kollegen wie Miklós Jancsó und Márta Mészarós. Szabo verteidigt sich zunächst mit dem Hinweis, er habe damit anderen den Kopf aus der Schlinge gezogen – um sich postwendend zu korrigieren: Vor allem sich selbst habe er gerettet. Damals, mit 19 Jahren, sah er kaum eine andere Chance, um einen der raren Studienplätze an der Akademie für Theater und Filmkunst zu ergattern. Er habe niemandem geschadet, betont er. Woher weiß er das so genau?

Empört sich Ungarn nun über den „Fall Szabó“? Im Gegenteil: Als Szabós neuer Film „Rokonok“ (Die Verwandten) über die korrupten Verhältnisse in einer ungarischen Kleinstadt am Dienstag in Budapest Premiere feierte, umarmte ihn der sozialistische Ministerpräsident demonstrativ; Szabós Kameramann Lajos Koltai gab seiner Freude über die Zusammenkunft Ausdruck, „auch wenn einzelne das sabotieren wollen“. Als Regisseur hatte Koltai auf der Berlinale 2005 seine Verfilmung von Kertesz’ „Roman eines Schicksallosen“ vorgestellt. Bereits im Vorfeld der Budapester Premiere veröffentlichten linksliberale Intellektuelle einen Solidaritätsaufruf: auch das ein Dokument der Wertschätzung. Zu den Unterzeichnern zählt der einst bespitzelte Jancsó.

Seltsame Geschichte. Man erinnere sich nur an die hiesige hitzige Stasi-Debatte über Christa Wolf, Fritz Rudolf Fries oder Sascha Anderson. Oder an die späte Aufregung über Heinz Rühmann, der sich auf Druck von Goebbels von seiner jüdischen Frau scheiden ließ. Oder an die Erschütterungen Hollywoods angesichts des Kollegen-Verrats auf der „Schwarzen Liste“ der McCarthy-Ära, zu schweigen von den zahllosen Auseinandersetzungen über die politische Verstrickung von Künstlern in Diktaturen. Der Fall Gustaf Gründgens, der Fall Wilhelm Furtwängler: Über beide hat Szabó Filme gedreht. Für „Mephisto“ erhielt er 1981 den Oscar, „Taking Sides“ lief auf der Berlinale 2002. Beide Filme verurteilen nicht, sondern zeichnen ein differenziertes Bild von Kunst und Kompromiss, Anklägern, Mitläufern, Opfern.

Ungarn bleibt cool angesichts von Szabós eigener Verstrickung. Liegt es daran, dass sein Werk beweist, wie sehr den 63-Jährigen die Frage nach Geist und Ungeist, persönlicher Schuld und Arrangement mit den Mächtigen umtreibt? Daran, dass er erst 19 war? Dass sein Stern als Regiemeister in den letzten Jahren, mit Verlaub, im Sinken begriffen ist? Die Hauptursache für die aktuelle Zurückhaltung ist wohl eher darin zu suchen, dass die Aufarbeitung der totalitären Erbschaft in Ungarn erst am Anfang steht. Bis heute sind die Akten kaum zugänglich, führende Politiker hatten vor dem Fall des Eisernen Vorhangs KP-Funktionen inne, und manchen gilt Spitzeltätigkeit bloß als Kavaliersdelikt. „Die ungarische Gesellschaft sitzt auf einer Zeitbombe“, sagt der Historiker Krisztian Ungvari. Es ist höchste Zeit, sie zu entschärfen.

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