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Kultur: Erkalten? Niemals!

Neu zu entdecken: Horst Sagerts Bühnenkunst auf Schloss Neuhardenberg.

Das Theater war die Verheißung. Von Hagenow ging es für die Schüler mit dem Zug nach Schwerin, eine 40-Kilometer- Reise, die mit angespannter Erwartung geladen war. Nicht in erster Linie wegen der bevorstehenden Schauspiele. Sondern weil bestimmte Mädchen mit an Bord waren, auf die alle Jungs ein Auge geworfen hatten. „Das hat sich in mein Gedächtnis eingegraben – die Verbindung von Theater und Erotik“, notierte Horst Sagert später. Nicht der schlechteste Impuls, sich der Bühnenkunst zuzuwenden.

Sagert, der in diesem Jahr seinen 79. Geburtstag feiert und mittlerweile eher zurückgezogen in Berlin lebt, ist freilich keiner dieser Theaterlüstlinge, bei denen man schaumig von Leidenschaft fürs Werk sprechen müsste. Sondern ein Bühnen- und Kostümbildner, Regisseur, Maler, Grafiker und Plastiker, aus dessen Arbeiten sowohl eine dornig-düstere Sinnlichkeit als auch ein stetig rumorender Widerstandsgeist sprechen. Ein Nichteinverstandensein mit den Realitäten in ihrer banalen Erscheinung. Politisch und auch sonst. Kein vorgezeichneter Weg für einen Bäckersohn aus dem pommerschen Dramburg, für ihn aber wohl ein zwangsläufiger.

In Neuhardenberg haben die Kuratoren Mark Lammert und Stephan Suschke die höchst sehenswerte Ausstellung „Sagerts Welt“ organisiert. Sicher kein zu hoch gegriffener Titel angesichts der Vielgestalt und des Reichtums dieses künstlerischen Kosmos. Es ist die erste umfangreiche Einzelschau seit 1979 – und nichts Geringeres als eine Wiederentdeckung Sagerts, den Einar Schleef den „größten Theaterkünstler, den die DDR hervorgebracht hat“ nannte. Aus den rund 150 Exponaten ergibt sich zum einen das Porträt eines faszinierend eigensinnigen Demiurgen. Und zugleich öffnet die Ausstellung den Blick auf eine untergegangene Theaterära, in der noch nicht das Diktat des Minimalismus wütete. Die Räume, die Sagert für die Bühne geschaffen hat, waren phantasmagorische, oft mythengeladene Entdeckerlandschaften mit Winkeln und Geheimnissen. Feuer für die Schaulust.

Auf einer Empore, unter der Decke der Ausstellungshalle in Neuhardenberg, begegnet man auch den drei Köpfen des Drachen. 1965, als 30-Jähriger, stattete der Schüler von Heinrich Kilger an der Kunsthochschule Weißensee Benno Bessons Jewgeni-Schwarz-Inszenierung „Der Drache“ am Deutschen Theater aus. Ein Sensationserfolg. Diese Lanzelot-Parabel auf die Diktatur wurde bis 1981 sagenhafte 580 Mal gespielt, über die soghafte Nachtmahr-Szenerie schrieb „Die Zeit": „Bühnenbild und Kostüme zeigen eine Art Chagall-Landschaft ohne Chagall-Farben.“ Sagert selbst hielt in seinen Arbeitsnotizen fest: „Die Häuser sind aus Asche gebaut. Das größte Angebot des Lebens ist die Wärme. Das Leben der Menschen ist ein ewig zitternder Gang vor den Gesetzen. Ihre Gedanken haben gebeugte Rücken.“

Nicht minder berühmt geworden ist Sagerts eigene Inszenierung „Faust-Szenen (Urfaust)“ am Berliner Ensemble 1983/ 84. Von „wundersamen szenischen Einfällen“ wusste damals das Parteiblatt „Neues Deutschland“ zu berichten und staunte: „Mephistopheles zersägt ganz beiläufig mit rotierender Kreissäge ein wenig Gebein.“ Den Faust spielte damals Hermann Beyer, die Margarete Corinna Harfouch. Zwei junge Hoffnungen auf dem Höhepunkt, in der Werkschau auch als Video in fern-verwaschenem SchwarzWeiß zu bestaunen. Beyer und Harfouch waren auch zur Eröffnung anwesend, um mit den Kuratoren aus Briefen und Notizen Sagerts zu lesen. Eine Splittercollage, mal lyrisch, mal kämpferisch, mal philosophisch, dabei stets so unnachgiebig wie in dem Satz zugespitzt: „Ich lehne es ab, einen Stil zu finden.“

Die Kuratoren Mark Lammert, selbst ein herausragender Bühnenbildner und bildender Künstler mit DDR-Biografie, und Stephan Suschke – reich an Meriten als Heiner-Müller-Wegbegleiter, Intendant, Regisseur und Autor – konzentrieren sich indes nicht auf die bekannten Gipfel in Sagerts Welt. Viel Raum wird auch dem im besten Sinne Abseitigen gegeben. Wie der „Komödie von König Bamba“ von Lope de Vega, die 1972 am DT schließlich nicht realisiert werden konnte. Oder Hansgünther Heymes Kölner „Sommernachtstraum“, von dem sich der Schöpfer distanzierte, weil die Umsetzung seinen Entwürfen nicht entsprach.

Sagert, der Kompromisslose, spricht in dieser Schau aus jedem Exponat. Aus Ölgemälden, Plastiken, Kostümen, Briefen an die SED-Führung, getippten Arbeitsnotizen. Zuhören, Hinsehen, Nachdenken lohnen sich immer. „Der Grund einer Theaterwelt“, schrieb der Künstler einmal, „ist der Mensch, ist die Angst, wie die Sonne zu erkalten.“

Sagerts Welt, bis 10. November, Di bis So, 11 bis 19 Uhr, Schloss Neuhardenberg, Ausstellungshalle Kavaliershaus Ost.

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