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Kultur: Ernst Jandl: Küß die Hand, gute Nacht

Seine Mutter hat er vergöttert. Auf einem der Familienbilder, die der Vater fotografiert hat, steht der Dreijährige am Liegestuhl von Mama und lächelt kokett in die Kamera.

Seine Mutter hat er vergöttert. Auf einem der Familienbilder, die der Vater fotografiert hat, steht der Dreijährige am Liegestuhl von Mama und lächelt kokett in die Kamera. Verlegen vor Glück, wie ein Liebhaber. Als habe der Ehemann das Paar auf frischer Tat ertappt. Und als weise das Kind mit seinem Lächeln die erste Ahnung von sich, dass es da etwas tut, was sich nicht ziemt: dem Vater die Frau abspenstig machen.

In einem anderen Bild schart sich Familie Jandl um den weihnachtlichen Gabentisch. Wieder ist es Ernst, der Älteste, der der Mutter am nächsten steht. Er hat seinen Arm schützend um ihren Hals gelegt. Aber es ist auch eine Art Würgegriff, den Luise Jandl gelassen duldet. Wenn es stimmt, dass Bilder nicht lügen, dann verraten diese Fotos in Klaus Siblweskis neuem Jandl-Buch, dass die Mutter die Komplizin des Sohnes war.

Die Liebe endete tragisch. Die Mutter starb jung; als Kranke fing sie zu schreiben an, und Ernst Jandl schrieb auch. Man kann das nun tiefenpsychologisch deuten: von wegen der prekären Beziehung zu Frauen, die der Dichter brauchte und allzu nahe doch nicht ertrug, wie seine spätere Lebensgefährtin Friederike Mayröcker. Oder Jandls Depressionen. Klaus Siblewski legt diesen Schluss durchaus nahe, in nüchtern protokollarischen, bisweilen linkischen Begleittexten. Aber die Bilder selbst verraten das nicht. Sie sparen das Psychologische aus. Darin liegt ihre Faszination.

Da ist das Kind in den zwanziger Jahren. Und da ist der alte Mann, der mit den Lautgedichten und den Buchstabenspielen, die sein Mund, sein ganzes Gesicht zu spielen nicht müde wird. Dazwischen liegt ein blinder Fleck. Gut, es gibt die Fotos von Jandl als Soldat oder als junger Lehrer in Wien, mit Nickelbrille, zarten Händen und ordentlich gescheiteltem Haar. Aber sie erzählen nicht viel. Beredt sind vor allem die Dokumente aus der Kindheit: die Mischung aus katholischer Strenge - Kartenspielen war streng verboten - und einer schlichten Familiensolidarität, die das Künstlerische - das Schreiben der Mutter, das Fotografieren und Malen des Vaters, eines einfachen Bankangestellten - nie als Hobby verstand, sondern als durchaus seriöse Arbeit. Es gab einen Freiraum, der sich damals kaum von selbst verstand. Der kleine Ernst sitzt im Wald und futtert Tannenzapfen. Der Vater hat sie ihm nicht aus der Hand gerissen. Jedenfalls nicht gleich: Erst einmal hat er den Tannenzapfen verspeisenden Sohn fotografiert.

Mit sechzehn trägt Ernst Jandl eine uralte Unschuld zur Schau. Eine Jugend, die jemand in den falschen Anzug gesteckt hat. Ein Leben, das nicht passt. "Ich könnte mir einen Autor vorstellen, der bis zuletzt schreibt und sich dann eine Kugel in den Kopf schießt ... Keiner ist nur Schreibender, auch wenn er es vielleicht gerne wäre", hat er 1984 anlässlich des Selbstmords von Jean Amery notiert. Die Manuskripte, Notizen, Sprachexperimente und Briefwechsel mit Verlegern: In den Dokumenten erscheint all das von manischer Pedanterie. Die Befreiung von den Fesseln der sprachlichen Ordnung muss eine mühsame Angelegenheit gewesen sein. In Jandls Spiel steckt akribische Verbissenheit; nirgends wirkt er zufrieden oder wenigstens gelöst. Das Paar Mayröcker - Jandl: Beide schauen in die Kamera, zwei Unzertrenntliche, aber verliebt wirken sie nie. Sie schaut ihn nicht an und er sie nicht. Selbst das Bier, das der Dichter im Freundeskreis leert, sieht nach Arbeit aus: Es muss jetzt getrunken werden.

In der Wohllebengasse

Die Stationen von Jandls Leben hat Klaus Siblewski mit Adressen versehen. Einer der letzten Wohnorte liegt in der Wohllebengasse. Ein schöner, ein Jandlscher Name. Aber auch hier herrscht Schreibabgeschiedenheit. Der Sprachspieler als Arbeitstier. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen: Dass zunächst keiner in Österreich Jandl drucken wollte. Dass er - nach ersten Erfolgen - freiwillig in den Schuldienst zurückkehrte. Dass die Popularität und der Ruhm so spät kamen. Höflich und ein wenig mürrisch sitzt er zwischen Honoratioren und nimmt Preise entgegen. Und die "taz" druckt zu seinem 65. Geburtstag am 1. August 1990 eine Titelseite mit vertauschten Buchstaben: weil man lechts und rinks eben doch velwechsern kann. Da sind wir bei unseren Jugenderinnerungen, dem Jandl-Kult: die Quartplatte von Wagenbach mit "Ottos Mops", Jandl und die Sprechgedichte, Jandl und der Jazz. Oder die Sprechoper "Aus der Fremde" in der Schaubühne am Halleschen Ufer, ein Auftragswerk, für das Jandl zweieinhalb Jahre lang keine Zeile zu Stande brachte, um die Verse dann in kaum sechs Monaten zu Papier zu bringen. Und sein später Wunsch, ein Saxophonspieler zu sein.

Am Ende dieses staunenswerten Kompendiums voller Porträts und Gruppenaufnahmen, Zeichnungen, Buchtitel und Plattencover, Bühnenauftritte und Studioaufnahmen der Jandl-Hörspiele steht ein "Gespräch über das Altern". Und am Ende dieses Gesprächs, das im November 1999 geführt wurde, ein halbes Jahr vor seinem Tod, sagt Ernst Jandl: "Das wollte ich noch gerne sagen. Ich wollte das gerne zu jemandem sagen, dem es zu sagen mir selber ein angenehmes Gefühl bereiten würde: küß die Hand, gute Nacht. Wie ich es als Kind getan habe. Gelernt habe ich das von der Mutter, die das gegenüber der Großmutter oder dem Großvater gesagt hat. Es ist ein schöner Gruß: Küß die Hand, gute Nacht." Jandls Lippen haben zeitlebens Vokale verkostet und Konsonanten geschmeckt: Vielleicht war das seine Art zu küssen.

Klaus Siblewski: a komma punkt. Ernst Jandl - ein Leben in Texten und Bildern. Luchterhand, München 2000, 216 Seiten, 78 Mark

Seine Mutter hat er vergöttert. Auf einem der Familienbilder, die der Vater fotografiert hat, steht der Dreijährige am Liegestuhl von Mama und lächelt kokett in die Kamera. Verlegen vor Glück, wie ein Liebhaber. Als habe der Ehemann das Paar auf frischer Tat ertappt. Und als weise das Kind mit seinem Lächeln die erste Ahnung von sich, dass es da etwas tut, was sich nicht ziemt: dem Vater die Frau abspenstig machen.

In einem anderen Bild schart sich Familie Jandl um den weihnachtlichen Gabentisch. Wieder ist es Ernst, der Älteste, der der Mutter am nächsten steht. Er hat seinen Arm schützend um ihren Hals gelegt. Aber es ist auch eine Art Würgegriff, den Luise Jandl gelassen duldet. Wenn es stimmt, dass Bilder nicht lügen, dann verraten diese Fotos in Klaus Siblweskis neuem Jandl-Buch, dass die Mutter die Komplizin des Sohnes war.

Die Liebe endete tragisch. Die Mutter starb jung; als Kranke fing sie zu schreiben an, und Ernst Jandl schrieb auch. Man kann das nun tiefenpsychologisch deuten: von wegen der prekären Beziehung zu Frauen, die der Dichter brauchte und allzu nahe doch nicht ertrug, wie seine spätere Lebensgefährtin Friederike Mayröcker. Oder Jandls Depressionen. Klaus Siblewski legt diesen Schluss durchaus nahe, in nüchtern protokollarischen, bisweilen linkischen Begleittexten. Aber die Bilder selbst verraten das nicht. Sie sparen das Psychologische aus. Darin liegt ihre Faszination.

Da ist das Kind in den zwanziger Jahren. Und da ist der alte Mann, der mit den Lautgedichten und den Buchstabenspielen, die sein Mund, sein ganzes Gesicht zu spielen nicht müde wird. Dazwischen liegt ein blinder Fleck. Gut, es gibt die Fotos von Jandl als Soldat oder als junger Lehrer in Wien, mit Nickelbrille, zarten Händen und ordentlich gescheiteltem Haar. Aber sie erzählen nicht viel. Beredt sind vor allem die Dokumente aus der Kindheit: die Mischung aus katholischer Strenge - Kartenspielen war streng verboten - und einer schlichten Familiensolidarität, die das Künstlerische - das Schreiben der Mutter, das Fotografieren und Malen des Vaters, eines einfachen Bankangestellten - nie als Hobby verstand, sondern als durchaus seriöse Arbeit. Es gab einen Freiraum, der sich damals kaum von selbst verstand. Der kleine Ernst sitzt im Wald und futtert Tannenzapfen. Der Vater hat sie ihm nicht aus der Hand gerissen. Jedenfalls nicht gleich: Erst einmal hat er den Tannenzapfen verspeisenden Sohn fotografiert.

Mit sechzehn trägt Ernst Jandl eine uralte Unschuld zur Schau. Eine Jugend, die jemand in den falschen Anzug gesteckt hat. Ein Leben, das nicht passt. "Ich könnte mir einen Autor vorstellen, der bis zuletzt schreibt und sich dann eine Kugel in den Kopf schießt ... Keiner ist nur Schreibender, auch wenn er es vielleicht gerne wäre", hat er 1984 anlässlich des Selbstmords von Jean Amery notiert. Die Manuskripte, Notizen, Sprachexperimente und Briefwechsel mit Verlegern: In den Dokumenten erscheint all das von manischer Pedanterie. Die Befreiung von den Fesseln der sprachlichen Ordnung muss eine mühsame Angelegenheit gewesen sein. In Jandls Spiel steckt akribische Verbissenheit; nirgends wirkt er zufrieden oder wenigstens gelöst. Das Paar Mayröcker - Jandl: Beide schauen in die Kamera, zwei Unzertrenntliche, aber verliebt wirken sie nie. Sie schaut ihn nicht an und er sie nicht. Selbst das Bier, das der Dichter im Freundeskreis leert, sieht nach Arbeit aus: Es muss jetzt getrunken werden.

In der Wohllebengasse

Die Stationen von Jandls Leben hat Klaus Siblewski mit Adressen versehen. Einer der letzten Wohnorte liegt in der Wohllebengasse. Ein schöner, ein Jandlscher Name. Aber auch hier herrscht Schreibabgeschiedenheit. Der Sprachspieler als Arbeitstier. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen: Dass zunächst keiner in Österreich Jandl drucken wollte. Dass er - nach ersten Erfolgen - freiwillig in den Schuldienst zurückkehrte. Dass die Popularität und der Ruhm so spät kamen. Höflich und ein wenig mürrisch sitzt er zwischen Honoratioren und nimmt Preise entgegen. Und die "taz" druckt zu seinem 65. Geburtstag am 1. August 1990 eine Titelseite mit vertauschten Buchstaben: weil man lechts und rinks eben doch velwechsern kann. Da sind wir bei unseren Jugenderinnerungen, dem Jandl-Kult: die Quartplatte von Wagenbach mit "Ottos Mops", Jandl und die Sprechgedichte, Jandl und der Jazz. Oder die Sprechoper "Aus der Fremde" in der Schaubühne am Halleschen Ufer, ein Auftragswerk, für das Jandl zweieinhalb Jahre lang keine Zeile zu Stande brachte, um die Verse dann in kaum sechs Monaten zu Papier zu bringen. Und sein später Wunsch, ein Saxophonspieler zu sein.

Am Ende dieses staunenswerten Kompendiums voller Porträts und Gruppenaufnahmen, Zeichnungen, Buchtitel und Plattencover, Bühnenauftritte und Studioaufnahmen der Jandl-Hörspiele steht ein "Gespräch über das Altern". Und am Ende dieses Gesprächs, das im November 1999 geführt wurde, ein halbes Jahr vor seinem Tod, sagt Ernst Jandl: "Das wollte ich noch gerne sagen. Ich wollte das gerne zu jemandem sagen, dem es zu sagen mir selber ein angenehmes Gefühl bereiten würde: küß die Hand, gute Nacht. Wie ich es als Kind getan habe. Gelernt habe ich das von der Mutter, die das gegenüber der Großmutter oder dem Großvater gesagt hat. Es ist ein schöner Gruß: Küß die Hand, gute Nacht." Jandls Lippen haben zeitlebens Vokale verkostet und Konsonanten geschmeckt: Vielleicht war das seine Art zu küssen.

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