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DDR-Debatte: Erzählt euch eure Lebensgeschichten

Es ist dumm, über Merkel herzufallen: Der Leiter des Ost-West-Forums, Axel Schmidt-Gödelitz, versucht seit zwanzig Jahren die Deutschen mit Ost-West-Dialogen zu versöhnen.

Axel Schmidt-Gödelitz, 71, leitet das 1998 von ihm als Verein gegründete Ost-West-Forum im sächsischen Gödelitz. Dort hat der Journalist, Politologe und Volkswirtschaftler mit seinen Geschwistern das ehemalige Gut der Familie zurückgekauft und zum Begegnungszentrum gemacht. Seit 1994 hat er, zuerst noch als Koordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung, Biografiegespräche mit rund 2200 Deutschen aus Ost und West moderiert. Das Leben in der ehemaligen DDR ist Schmidt-Gödelitz trotz seiner West-Sozialisation vertraut: von 1976 bis 1982 arbeitete er unter Günter Gaus als Referent in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Das aus heterogen besetzten Zehnergruppen bestehende „Gödelitzer Biografiemodell“, das ehrenamtlich in Sachsen und im Bundesgebiet läuft, schließt inzwischen auch Polen, Russen, türkischstämmige Deutsche und Koreaner ein.

Herr Schmidt-Gödelitz, kam Ihnen Angela Merkels viel diskutierte Bemerkung, dass „man damit leben könne“, wenn sie „was anderes“ als Kulturfunktionärin der FDJ gewesen sei, aus Ihren Biografiegesprächen bekannt vor?

Natürlich. Und es ist absolut dumm, deswegen über die Frau herzufallen. Wenn sie, mit ihren aus einem Pfarrerhaushalt stammenden Werten, Leute angezeigt oder in den Knast gebracht hätte, hätte ich ihr das übel genommen. Davon ist aber nichts bekannt. Sie hat sich nur angepasst. Wie die meisten von uns das getan hätten. Wie jeder begabte junge Mensch, der in der DDR etwas werden wollte.

Der Vorbildfunktion einer Kanzlerin wird sie mit so einer lapidaren Randbemerkung aber nicht gerecht.

Ach, was erwarten Sie von Politikern? Schauen Sie sich die Biografien von westdeutschen Politikern auf dem Weg nach oben an: die Anpassungleistung von Angela Merkel ist vergleichsweise gering. Die Frau hat einen Vorteil, und das sage ich als Mitglied der SPD: Sie ist unbestechlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie wie etwa Gerhard Schröder direkt aus der Kanzlerschaft in eine Lobbyisten-Position wechselt. Menschen neigen nun mal dazu, sich anzupassen. Und es ist jetzt unsere Aufgabe zu vermeiden, je wieder ein System zu haben, das sie in diese Situation bringt.

Wie ist es gut 20 Jahre nach der Wiedervereinigung um die innere Einheit bestellt?

Wir sind immer noch weit davon entfernt. Die Kluft zwischen Ost und West wird eher wieder breiter. Umfragen sagen, dass sich über 70 Prozent der Ostdeutschen als Menschen zweiter Klasse empfinden. Sicher, die unmittelbar nach dem Systemwechsel geführten Klagen haben sich beruhigt, die Menschen sind stiller geworden, haben sich gewöhnt. Aber wir haben in Gödelitz, wo die Regel gilt, dass gelebtes Leben nicht von den anderen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Gesprächsteilnehmern bewertet wird, immer noch Gesprächssituationen, bei denen sich ein Mensch unter Tränen erstmals traut zu erzählen, von der Stasi zum IM gepresst worden zu sein.

Selbst seiner Familie hatte er davon nie erzählt?

Eben nicht. Wenn so etwas rauskommt und als Fall hochgezogen wird, haben sie keine Chance. Wir haben in Deutschland keine neutrale Öffentlichkeit. Es gibt bestimmte Medien, die sich als Stasi-Jäger betätigen und auch die entsprechenden Informationen erhalten. Und wir haben eine Stasi-Unterlagen-Behörde, die nicht von trockenen Juristen, sondern von ehemaligen Opfern geführt wird. Sowohl Birthler als auch Gauck und Jahn sind Stasi-Opfer. Das ist ein Fehler: In einem Rechtsstaat dürfen Opfer mit all ihren nur zu verständlichen Verletzungen niemals Richter sein.

Wie erklären Sie sich den von Ihnen genannten Umfragewert: Fühlt sich jeder Ostdeutsche unter Schuldverdacht und damit Rechtfertigungsdruck, der nicht gegen das restriktive System aufbegehrt hat?

Ja, das ist ein wichtiger Punkt, die Verkürzung der DDR auf Stasi-Unrecht und Diktatur. Jeder, der in diesem Staat einfach nur seinen Job gemacht hat, kommt so in die Rolle, einen Unrechtsstaat unterstützt zu haben. Gegen diesen selbstgerechten Vorwurf wehren sie sich. Der zweite Punkt ist, dass Ostdeutsche ökonomisch immer noch in der schwächeren Position sind: 95 Prozent des Investitionskapitals im Osten sind aus dem Westen.

Nun kann man mit Ihrem Kommunikationsmodell leider nur eine begrenzte Anzahl von Leuten erreichen.

Ja, wir müssten die Biografiegespräche von Nord nach Süd über das ganze Land verbreiten, um Vorurteile abzubauen, die auf dem Boden von Nichtwissen siedeln. Die Methode „Erzählt euch eure Lebensgeschichten“ funktioniert deshalb so gut, weil hier Kognitives und Emotionales zusammenfließt. Das versuche ich ja jetzt auch in Südkorea, wo Südkoreaner unter dem Dach der Evangelischen Kirche mit Flüchtlingen aus Nordkorea sprechen.

Was haben Sie aus Ihren zahlreichen Ost-West-Gesprächsrunden gelernt?

Wir müssen etwas tun, um die ständige Revanche, die Rachesituation und diese Neuverletzungen zu beenden. Wir haben auch heute wieder gesellschaftliche Entwicklungen, die zu Katastrophen führen könnten. Etwa die Spaltung der Bevölkerung in Arm und Reich, wo zehn Prozent der Bevölkerung 60 Prozent des Vermögens besitzen. Wenn es eine Funktionselite gibt, die sich das gemeinsam Erarbeitete auf dreiste Weise aneignet. Wo dann die Steuerzahler die danebengehenden Spekulationen bezahlen müssen und ein Teil der Bevölkerung – etwa der Mittelstand – immer weniger hat. Das alles sind Warnsignale. Wer die nicht ernst nimmt, hat auch kein Recht auf Einzelne hinzuweisen, die sich womöglich schuldig gemacht haben. Das ist für mich der falsche Ansatz.

Das Gespräch führte Gunda Bartels. Hiermit endet unsere Serie zur DDR-Vergangenheit. Erschienen sind Beiträge von David Ensikat (16.5.), Antje Sirleschtov (18.5.), Malte Lehming (22.5.), Robert Ide (27.5.) und Werner van Bebber (2.6.).

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