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Zwangspause. Manfred Honeck (62) ist Musikdirektor in Pittsburgh.

© picture alliance / dpa

US-Klassik in der Pandemie: "Es ist eine sehr schwierige Lage"

Die Coronakrise trifft die Orchester in den USA hart. Ein Gespräch mit Manfred Honeck, Chefdirigent des Pittsburg Symphony Orchestra.

Herr Honeck, Sie sind seit zwölf Jahren Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra, das in dieses Jahr sein 125-jähriges Bestehen begeht. Ist Ihnen gerade nach Feiern zumute?
Die Situation der amerikanischen Orchester ist im Augenblick sehr schwierig. Wir dürfen alle nicht spielen. Das trübt natürlich meine Freude. Trotzdem bin ich glücklich über das Jubiläum. Das Pittsburgh Symphony Orchestra zählt zu den ältesten amerikanischen Orchestern.

Im Spätsommer hätte eine Europatournee des Orchesters mit Anne-Sophie Mutter stattfinden sollen, die wegen der Pandemie abgesagt werden musste. Haben Sie mit dem Orchester zu Hause ein Alternativprogramm auf die Beine gestellt?
Leider hat uns die Situation nicht erlaubt, in Pittsburgh aufzutreten. Die Vorschriften sind sehr strikt. Nur Kammermusik und kleinere Orchesterwerke für Streicher wären möglich. Dass diese Tour, die wir drei Jahre im Voraus geplant haben, nicht stattfinden konnte, ist für mich äußerst schmerzhaft.

Die Salzburger Festspiele, das Lucerne Festival, das Beethovenfestival in Bonn und die Elbphilharmonie in Hamburg standen auf dem Tourneeplan. Das ist auch aus künstlerischer Sicht bedauernswert, da das Orchester gerade jetzt ausgezeichnet in Form ist.

Orchester in den USA werden kaum öffentlich subventioniert. Auf der Website ruft das Pittsburgh Symphony Orchestra zu Spenden auf. Wie ist die wirtschaftliche Situation des Orchesters?
Wir sind in Amerika in einem viel größeren Maße abhängig vom Kartenverkauf als in Europa. Das hat zur Folge, dass viele Orchester die gesamte Saison abgesagt haben. Chor und Orchester der Metropolitan Opera in New York haben seit April kein Gehalt mehr erhalten. Jedes Orchester versucht, das finanzielle Defizit zumindest teilweise durch Sponsoren, Stiftungen und großzügige Spender aufzufangen.

Die Musiker haben bei uns auf 25 Prozent ihres Gehaltes verzichtet, in anderen Orchestern waren sogar noch größere Einschnitte notwendig. An der New Yorker Met hat es eine Kündigung auf Zeit gegeben. Die Musiker werden wieder angestellt, sobald sich die Situation beruhigt hat. Es ist aber bemerkenswert, dass viele Abonnenten uns die Treue halten. Sie kaufen ein Abonnement, obwohl sie noch nicht wissen, welche Programme gespielt werden – dafür sind wir sehr dankbar!

Auch das New York Philharmonic hat die Saison komplett abgesagt. Die Theater am Broadway sind geschlossen. Glauben Sie, dass sich das Kulturleben in den USA wieder erholen wird?
Es ist sicherlich eine sehr schwierige Lage. Amerika wird aber nicht ganz zu Unrecht „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ genannt. Die Menschen schaffen es immer wieder, sich an die jeweilige Situation anzupassen, um dann neue Konzepte zu entwickeln. Ich bin daher sehr optimistisch.

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Eine große Frage wird für mich sein, wie sich unser Publikum in Zukunft verhalten wird. Ich glaube, dass es ein großes Bedürfnis gibt, Konzerte live zu hören. So sehr ich die digitalen Aufzeichnungen begrüße: Klassische Musik im Saal zu erleben, ist unvergleichlich schöner und bereichernder.

Dirigenten wie Herbert Blomstedt oder Lorenzo Viotti haben der Coronakrise und dem damit verbundenen Stillstand etwas Positives abgewinnen können. Wie geht es Ihnen in der Krise?
Ich habe eine große Familie und konnte endlich verschiedene Geburtstage meiner Kinder und meiner Enkel miterleben. Natürlich hat man auch mehr Zeit zum Nachdenken. Was ist der Sinn meines Berufes? Welchen Stellenwert hat die Musik? Für wen spielen wir?

Der Klassikmarkt war sicherlich ein wenig überhitzt vor der Corona-Auszeit. Vielleicht tut es uns allen auch ganz gut, diesem Treiben einmal entkommen zu sein. Damit meine ich natürlich nicht die wirtschaftlichen Folgen der Krise.

Wie wird Ihrer Ansicht das Musikleben nach Corona aussehen?
Wir haben gesehen, dass das gemeinsame Musikerlebnis keine Selbstverständlichkeit ist. Ich könnte mir vorstellen, dass sowohl bei den Musikern als auch beim Publikum eine große Dankbarkeit entsteht, wenn man wieder in einem Konzert aufeinandertrifft. Ich hoffe sehr, dass erstklassige freie Orchester wie das „Chamber Orchestra of Europe“ oder das „Mahler Chamber Orchestra“ diese Krise überstehen. Sie sind eine enorme Bereicherung für unser Musikleben.

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