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Kultur: Es kann jederzeit passieren

Regisseur Schnitzler über Strahlenkranke, Massenpanik und Restrisiko

Herr Schnitzler, wie alt waren Sie, als der Reaktor in Tschernobyl brannte?

22, mein Vater rief dauernd an, um mir zu sagen, was ich alles nicht essen sollte.

Die Band, bei der ich damals mitspielte, hatte ein Lied mit dem Titel „AKW nee!“ im Programm.

Gehörten Sie zu denen, die von ihren linksalternativen Eltern indoktriniert wurden?

Ach was, das gehörte damals einfach zur Ausstattung der Szene, der ich mich zugehörig fühlte. Das war ja eine gesamtgesellschaftliche Strömung. Hier in West-Berlin waren auch die Hausbesetzer ein Teil davon oder die Alternative Liste.

Waren Sie mal in einem Atomkraftwerk?

Nein, ich war nur für die Recherche zu diesem Film am Gelände des KKW Grafenrheinfeld, weil dort in der Romanvorlage der Unfall geschieht, der zu der tödlichen Strahlenwolke führt. Ich war überrascht, wie nah dran man da kommt und als ich davor stand, stellte sich die Frage plötzlich sehr konkret: Was mache ich, wenn es jetzt gerade passiert? Diese Angst war merkwürdig, da wollte ich schnell wieder weg.

Das heißt, Sie halten das Szenario des Films, die große Atomkatastrophe, für eine reale Bedrohung?

Wenn ich dort bin, ja, ansonsten verdränge ich es wie jeder andere auch. Ich meine, man sollte sich bewusst entscheiden, ob man mit einem solchen Risiko leben will oder ob das möglichst bald beendet werden soll. Ich halte die Technikgläubigkeit der Betreiber und Konstrukteure für naiv. Menschen machen Fehler, aber im Atomkraftwerk kann das furchtbare Folgen haben. Und die Leute sollten die Gefahr kennen, wenn sie ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen. In der Frage sind die Parteien ja klar sortiert.

Für die Bundestagswahl, bei der das zur Entscheidung stand, kommt der Film aber zu spät.

Wir wollten die höchstmögliche Aufmerksamkeit nutzen, und die bringt der 20. Jahrestag des Unglücks von Tschernobyl. Die Idee war fünf Jahre alt, aber der Produzent brachte erst zu diesem Termin die nötigen Mittel auf. Am Ende standen wir unter extremem Zeitdruck. Wir haben ab 16. August gedreht und sind schon acht Monate später in den Kinos. Die Idee stammt von Drehbuchautor und Regisseur Marco Kreuzpaintner. Für mich war es ein Glücksfall, dass ich den Film machen durfte, weil ich gerne politische Stoffe erzähle, Geschichten mit gesellschaftlicher Relevanz.

Worauf basiert das Szenario für den Katastrophenverlauf, mit den Sperrzonen A, B und C und der scheiternden Evakuierung?

Wir haben viel von den Autoren des Films „Todeszone“ übernommen, die vor zehn Jahren den Katastrophenfall für das AKW Biblis im Rhein-Main-Gebiet an Hand der offiziellen Notfallpläne durchgespielt haben.

Warum glauben Sie, dass die Behörden versagen würden? Warum sollte die Bahn nicht noch mehr Züge mit Fahrern in Strahlenschutzanzügen schicken, um die Leute rauszuholen?

Ich bin überzeugt, dass sich dann niemand mehr traut, in eine so hoch verstrahlte Zone zu fahren. Helden, die ungeachtet der Gefahr alles geben, gab es vielleicht damals in der Sowjetunion, als der Tschernobyl-Reaktor brannte. Bei uns würde vermutlich jeder nur an sich selbst denken.

In Ihrem Film ist es schlimmer. Die Menschen verwandeln sich in Bestien und fahren ohne Rücksicht kleine Kinder tot.

Man kennt so etwas von Massenpaniken, zum Beispiel in Fußballstadien. Das halte ich für ausgesprochen realistisch.

Die politischen Folgen dieser Katastrophe wären europaweit gewaltig. Warum kommen diese Folgen nur am Rand vor?

Ich wollte nicht didaktisch herumpolitisieren, wollte auch kein Science-FictionSzenario. Da könnte man sich ja schön entziehen. Es sollte ein Film über die heutige Zeit sein, in der so etwas jederzeit passieren kann. Darum bleibt es bei den Hauptfiguren und ihrer Liebesgeschichte.

Und deren medizinischem Wunder. Erst ist die Heldin so verstrahlt, dass ihr die Haare ausfallen, dann geht sie plötzlich wieder in die Schule.

Ist aber möglich. Wir haben alles genau mit Top-Experten durchgespielt.

Die Betreiber von Atomkraftwerken werden Ihnen Panikmache vorwerfen, weil die einen solchen Unfall ausschließen.

Das ist schon deshalb falsch, weil die Dinger gegen einen Terrorangriff wie den vom 11. September 2001 nicht zu schützen sind. Allein das ist doch ein Wahnsinnsrisiko. Vielleicht sind ein paar Details des Films nicht ganz realistisch, aber das ändert nichts daran. So viel künstlerische Freiheit muss sein.

– Das Gespräch führte Harald Schumann.

GREGOR

SCHNITZLER , geboren 1964 in Berlin, drehte Werbespots, Musikvideos und TV-Serien. 2002 folgte sein Kinofilm „Was tun wenn’s brennt?“, 2003 „Soloalbum“.

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