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Zu neuen Ufern. Blick auf den Fluss Aura in Turku.

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Estland und Finnland: Staunen & Saunen

Jetzt sind die Esten und die Finnen dran: Europas Kulturhauptstädte des Jahres 2011 heißen Tallinn und Turku.

Noch nie lagen die Titelträger so nahe beieinander: Gerade einmal 200 Kilometer Luftlinie trennen die europäischen Kulturhauptstädte des kommenden Jahres: Südlich des Finnischen Meerbusens liegt Tallinn, die Hauptstadt Estlands mit 412 000 Einwohnern, nördlich der Ostsee-Meerenge ist Turku zu entdecken, die mit 176 000 Einwohnern fünftgrößte Stadt Finnlands – hinter Helsinki (mit seinen Trabanten Espoo und Vantaa) und Tampere. Tallinn gilt gleichzeitig als lebendigste, modernste Metropole Nordosteuropas und gehört dank seines weitgehend intakten historischen Stadtkerns seit 1997 zum Unesco-Weltkulturerbe.

Auch Turku ist über 800 Jahre alt, kann aber nicht mit vergleichbaren architektonischen Kleinoden prunken: Bevor die Stadt im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurde, war sie bereits 30 Mal abgebrannt. Wer etwas vom mittelalterlichen Turku sehen will, muss sich im Museum Aboa Vetus sieben Meter unter das heutige Straßenniveau begeben. Aus der Zeit, als Alvar Aalto von 1927 bis 1933 in Turku ein Architekturbüro unterhielt, hat sich immerhin das Gebäude der Tageszeitung „Turun Sanomat“ erhalten.

Mit ihrem doppeldeutig-selbstironischen Jahresmotto „Turku in Flammen“ wollen die Finnen gleichzeitig nach vorne und zurück schauen. Ihre Historie wird ab 21. Januar zu einem Heavy-Metal-Musical verarbeitet: Zu Musik von Iron Maiden wie auch der einheimischen Gruselband Lordi wird das besonders grausame Inferno des Jahres 1827 nacherzählt. Andererseits will man die Flamme aber auch als Symbol für jene zündenden Ideen verstanden wissen, mit denen die finnische Kulturhauptstadt ihre Bewohner und Besucher 2011 überraschen will.

Beim „SaunaLab“ etwa wird nicht nur über die Kunst des kontrollierten Transpirierens theoretisiert, mitten in der Stadt werden zudem fünf künstlerisch gestaltete Schwitzkästen aufgestellt. Jan-Erik Andersson hat sich für seine Sauna von den Zwiebeltürmen orthodoxer Kirchen inspirieren lassen und eine überdimensionale gelbe Knoblauchzehe aus Fiberglas geschaffen.

Die langen Monate, in denen es in Finnland kaum hell wird, sind Thema der Ausstellung „876 Farbtöne der Dunkelheit“, im Sommer sollen die 20 000 Schären-Inselchen vor den Toren der Stadt dann in ein „Contemporary Art Archipelago“ verwandelt werden. Auch der Start des Kulturhauptstadtjahrs am 15. Januar wird mit Feuerwerk und Artistik unter freiem Himmel gefeiert, an beiden Ufern der Aura, jenes von Alleen gesäumten Flusses, der den Bewohnern von Turku ohnehin der liebste Ort zum Flanieren ist.

Das estnische Tallinn will im Hauptstadtjahr „Geschichten von der Meeresküste“ erzählen. Während der Sowjetzeit war die Stadt komplett vom Wasser abgeschnitten, denn Strand und Hafen waren militärisches Sperrgebiet. Nachdem Estland sich 1991 durch die „singende Revolution“ die Unabhängigkeit zurückerobert hatte, wurde das Ostseeufer als Müllkippe missbraucht. 2011 soll diese Wunde in der Stadtlandschaft nun endlich geschlossen werden. Bis Mitte des Jahres wird die neue Hafenpromenade fertig sein, im Juli möchte man das Meeresmuseum eröffnen, das derzeit in einem historischen Hangar für Wasserflugzeuge aus dem Jahr 1917 eingerichtet wird. Bis zum Fischmarkt ist der „Kulturkilometer“ geplant, den Cafés in Seefrachtcontainern säumen werden.

Nachdem die estnische Regierung den Kulturhauptstad-Etat wegen der Wirtschaftskrise von 45 auf 16 Millionen Euro zusammengestrichen hat, mussten viele schöne Ideen aufgegeben werden. In Turku, wo vor allem die Schiffbauindustrie unter der Rezession gelitten hat, steht mehr als doppelt so viel Geld für das EU-Jubeljahr zur Verfügung. Doch Tallinn ist mit seiner bewegten Geschichte – die längste Zeit davon als deutsche Handelsstadt Reval – auch ohne Großevents spannend genug. Zu den kleinen, feinen Attraktionen 2011 gehören ein internationales Chortreffen Mitte April sowie ein Festival für skandinavische Handglockenmusik im Juni. Zur Eröffnung eines aus 9000 Strohballen erbauten, temporären Theaters wird ein neues Werk des weltberühmten estnischen Komponisten Arvo Pärt uraufgeführt. Außerdem soll es den ersten Marathon in Tallinn geben, eine Feuerskulptur-WM, eine Regatta historischer Schiffe und ein Ritterturnier.

Natürlich planen die beiden Kulturhauptstädte auch gemeinsame Projekte: Beim „New Baltic Drama“ beispielsweise werden Schauspieltruppen aus Turku, Tallinn, St. Petersburg und Stockholm jeweils neue Stücke von Autoren der Nachbarländer uraufführen.

Informationen unter: www.turku2011.fi sowie www.tallinn2011.ee

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