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Kultur: Europaratsausstellung: Fünf Nationen suchen Mitte des Kontinents

Das Allerheiligste, die Dunkelkammer der Herrschaftsinsignien, ist der letzte Schauraum eines empfindlichen Geschichichtsprojektes. Deutschland, Polen, die Slowakei, Tschechien, Ungarn: Fünf Länder blicken tausend Jahre zurück, um sich einer verbindenden Überlieferung, früher nationaler Identitätswurzeln wie auch der Definition dessen zu vergewissern, was einmal Europas Mitte war.

Das Allerheiligste, die Dunkelkammer der Herrschaftsinsignien, ist der letzte Schauraum eines empfindlichen Geschichichtsprojektes. Deutschland, Polen, die Slowakei, Tschechien, Ungarn: Fünf Länder blicken tausend Jahre zurück, um sich einer verbindenden Überlieferung, früher nationaler Identitätswurzeln wie auch der Definition dessen zu vergewissern, was einmal Europas Mitte war. 12 Staaten, 180 Institute, so das Mannheimer Reiss-Museum und das Berliner DHM, 240 Wissenschaftler haben dazu beigetragen; die Minister Fischer und Naumann zahlten den Löwenanteil des 21-Millionen-Etats, damit 3000 Objekte 18 Monate lang an insgesamt sechs Stationen zu sehen sind. Nato- und EU-Erweiterung bilden den Hintergrund der am Wochenende im Ungarischen Nationalmuseum eröffneten 27. Europaratsausstellung. Die politische Absicht und ihre Realisierungsprobleme manifestieren sich in der Einrichtung der Dunkelkammer: wo mythische Erbstücke der Nationen lagern. Nur als Kopie (made in Idar-Oberstein) ist die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit von der Wanderpartie; Ungarns Stephanskrone sollte im Original Eindruck machen, wurde aber von der neuen Regierung als unabkömmlicher Gral im Andachtsraum des Parlaments installiert - also ebenfalls nur als Kopie dabei. Die Slowaken wiederum mussten gebremst werden, sich für die Zeit um 1000 - im Zuge aktueller Patriotisierungsprogramme - nicht erst eine Tradition zu konstruieren, die kaum belegbar ist; als Augapfel ihrer Überlieferung erscheint der Abguss einer Bonzetür aus dem Maasgebiet, auf der das Leben des mährischen Märtyrermissionars Adalbert erzählt wird. Die Tschechen dagegen rückten (dafür brauchte es eine Intervention beim Staatspräsidenten) ihr bestes Stück heraus, Sankt Wenzels Helm und Kettenhemd. Auch Polen zeigt sein Kostbarstes: jene Nachbildung der Heiligen Lanze (das Original eil der Reichsinsignien in Wien), die Kaiser Otto III. im Jahr 1000 dem König Boleslaw zu Gnesen übergab, ein Unterpfand der Bindung Polens an das Abendland. "Die Vielfalt der Nationen wie das sie tragende gemeinsame kulturelle Fundament kennzeichnen nicht allein die 1000-jährige Geschichte der Länder in Europas Mitte," resümieren vor den Schätzen des Allerheiligsten die harmonisierenden Ausstellungsmacher, dreisprachig. "Sie bilden zugleich - trotz aller späteren Konflikte, Kriege, ja traumatischen Erfahrungen miteinander - ein Ferment des neuen gegenwärtigen Europa und sein verpflichtendes Erbe."

Das Unternehmen "Europas Mitte um 1000" bietet an seiner Startstation in Ungarns Hauptstadt als Publikumsveranstaltung und politischer Kraftakt ein zwiespältiges Bild. Gelungen ist vor allem die Edition zweier Essaybände. Die Kluft zwischen diesem Forscherertrag und dem Besucherinteresse sollte wohl durch den Einsatz der Mannheimer Multimedia-Firma "wild projects" überbrückt werden. Animationsfilme visualisieren das Thema "fremde Welt": als Rundumschlag à la "Am Anfang war das Feuer" von der Rodung bis zur Klostergründung; als 3-D-Erfahrung einer Alltagsszenerie am Ostseehafen Wollin als Digital-Inszenierung unbekannter heidnischer Kulte. Am Eröffnungstag, während Ungarn das 1000-Jahr-Jubiläum seines Königs Stephan feierte, wurde die läppische Animation nach wenigen Stunden abgeschaltet: Die Panne wirft auch ein Licht auf die Verwerfungen zwischen Gastgeber-Partnern, denen die Relativierung ihrer nationalen Tradition mißfällt, und dem Mannheimer Ausstellungs-Generalsekretariat, das deutschen Hegemonialansprüchen zwar abgeschworen hat, aber in Budapest gleichwohl schlecht ankam. Nicht mal für einen Katalog hat es dort gereicht. Dennoch ist die Ausstellung ein Dokument zum Ende des Kalten Krieges, sie reflektiert das größere Europa und, ungewollt, die Ungleichzeitigkeit der beteiligten Gesellschaften und ihrer Historisierungsprozesse. Sie glänzt mit wunderbaren Kunstgegenständen, deren bloßes Alter mythologisierende Spannung erzeugt, wird sich aber von Land zu Land nicht nur aufgrund wechselnder Objekte verändern; Budapest (bis 26. 11.) ist mit 1400 Quadratmetern die beengteste, Berlins Gropius-Bau mit 3000 Quadratmetern die geräumigste Station. Der deutsche Focus auf die Epoche um 1000, als das ottonische Imperium sich seiner antiken Ursprünge besann, ist in "Europas Mitte um 1000" ein Aspekt unter vielen ; er wird jedoch parallel - wenn die Ausstellung nach Deuts.

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