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Kultur: Falsche Papiere

Nein, kaum ein Kommentator macht Günter Grass ernsthaft den Vorwurf, als verblendeter Jugendlicher bei der Waffen-SS gewesen zu sein. Wohl dem, der als Deutscher im 20.

Nein, kaum ein Kommentator macht Günter Grass ernsthaft den Vorwurf, als verblendeter Jugendlicher bei der Waffen-SS gewesen zu sein. Wohl dem, der als Deutscher im 20. Jahrhundert fern von jeder totalitären Zumutung alt werden konnte. Das jahrzehntelange Schweigen allerdings mutet schon seltsam an. Zumal bei einem, der – ganz wie die Kollegin Christa Wolf – nicht ungern in die sehr deutsche Rolle des Dichters als politisch-moralischer Wegweiser schlüpfte.

Am Kapitel Schriftsteller und Politik haben hier zu Lande freilich noch andere mitgeschrieben. Etwa Peter Paul Zahl – wenn auch nicht auf literarischem Grass-Niveau. Das Leben des gelernten Druckers böte Stoff genug für mehr als einen Schelmen- oder Abenteuerroman. 1944 in Freiburg im Breisgau geboren, wuchs Zahl in Mecklenburg und – nach der Flucht siner Familie in den Westen – im Rheinland auf. 1964 zog er, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen, nach West-Berlin, wo er mit dem Schreiben begann und bald von der Studentenbewegung angezogen wurde. Er wurde Mitglied in der von Max von der Grün initiierten „Dortmunder Gruppe 61“, gründete eine eigene Druckerei mit Kleinverlag, gab die Zeitschrift „Spartacus“ heraus und geriet immer wieder in Konflikt mit Polizei und Justiz. Vor allem deshalb, weil er nicht bloß allerlei operative Literatur, sondern auch falsche – wenn auch qualitativ hochwertige – Ausweise herstellte.

Mit einer Organisation namens „Up against the wall, Motherfuckers!“ schleuste Zahl in diesen Jahren desertierende GIs aus Berliner Kasernen nach Schweden. 1972 war er in einen Schusswechsel mit der Polizei verwickelt. In der heißen Phase der Baader-Meinhof-Fahndung verurteilte ihn ein Gericht zu 15 Jahren Haft. Zehn davon hat er abgesessen und sich dann aus dem Staub gemacht. Über Grenada und Nicaragua nach Long Bay an der Küste Jamaikas. Von dort bestückt er den deutschen Buchmarkt seither mit exotisch-sozialkritischen Kriminalromanen. Das letzte Exemplar der Reihe um Privatermittler Aubrey Fraser, auch „Ruffneck“, heißt „Im Todestrakt“ (Fischer). Es geht um eine jamaikanische Kirchengemeinde und – wie immer bei Zahl – um einen zu Unrecht Verurteilten. Und natürlich klärt er wie immer über die Wonnen der Hängematte und die Bösartigkeit des Imperialismus auf.

Nach seiner Einbürgerung in Jamaika wurde Zahl kurzerhand die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. In einem Rechtsstreit hat er sie sich wiedererkämpft und besitzt nun zwei Pässe. Seine derzeitige Lesereise ist also auch eine Wiedereinbürgerungstour. Sie beginnt am 19.8. (21 Uhr) in der Kreuzberger Schankwirtschaft Enzian (Yorckstr. 77) mit einer Lesung aus „Im Todestrakt“. Schon am Tag darauf kommt Zahl um 20 Uhr ins taz-Café (Kochstr. 18, Kreuzberg) . Dort gibt es ebenfalls Kriminalliteratur und Auszüge aus seinem „Jamaika“-Buch (C.H. Beck), das nicht nur von Rum, Reggae und Rasta erzählt. Und wenn man schon in der Schankwirtschaft beisammen sitzt, lässt sich sicherlich auch Gemüse auftreiben. Dann kann man anhand einer konkreten Zwiebel darüber rätseln, was der listenreichen Literatur-Nobelpreisträger mit seiner Metapher gemeint haben mag. Grass als bekennendem Koch dürfte es jedenfalls nicht fremd sein: Wenn man eine Zwiebel immer weiter häutet, bleibt am Ende – nichts.

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