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Kultur: "Falstaff" an der Deutschen Oper: Der Wahn steckt in den Filzschlappen

Das Leben: eine Cuvée aus feuchtem Rost, säuerlichem Wein, ungewaschenen Gewändern. Der Schweiß aus dicken Theaterbäuchen und ausgelatschten Pantoffeln hängt schwer in der Luft.

Das Leben: eine Cuvée aus feuchtem Rost, säuerlichem Wein, ungewaschenen Gewändern. Der Schweiß aus dicken Theaterbäuchen und ausgelatschten Pantoffeln hängt schwer in der Luft. So naturalistisch kann ein gut abgehangenes Bühnenbild auf die Sinne wirken, wenn es aus den untersten Tiefen des Fundus wieder auf die Bühne gespült wird.

Vor gut 23 Jahren erlebte Giuseppe Verdis jetzt neu einstudierter "Falstaff" seine Premiere an der Deutschen Oper: Es war die erste Inszenierung von Götz Friedrich, der vier Jahre später Generalintendant im Haus an der Bismarckstraße werden sollte. Geblieben von Friedrichs Opernästhetik ist vor allem sein Artikel im Programmheft, der fein zwischen den hilflosen Besitzbürgern von Windsor und dem weisen Lebenskünstler Falstaff unterscheidet, zärtlich bürgerliche Wahnvorstellungen erkennt, gipfelnd im Lob der humanistischen Botschaft von Verdis letzter Oper. Und dabei den Duktus von DDR-Opernführern der siebziger Jahre erstaunlich gut trifft. Doch von posthumer Humanismus-Weihe wollte man sich an der Deutschen Oper fern halten, und man hütete sich, den Geist des Hauses vorzeitig zum lästigen Gespenst verkommen zu lassen. Nach der Absage der zunächst besetzten Friedrich-Gattin Karan Armstrong verlegte sich das Ensemble ganz aufs Spielbein, schätzte tollkühn die Väter der Klamotte höher als Urvater Felsenstein. Allen voran Bruno Pola in der Titelrolle grimassierte und chargierte, was echter und falscher Bauch hergaben und rutschte von einer Tonlage andauernd in die nächste. Nur eine Haltung traf er nie. So einer soll das Salz in der bürgerlichen Alltagssuppe sein? Die Filzschlappen, in denen zuvor Kollegen wie Ingmar Wixell gesteckt haben, erwiesen sich für Pola als viel zu groß, um ihren Träger noch witzig oder schlicht menschlich erscheinen zu lassen. Wolfgang Brendels sonoren Ford konnte man noch nie so verzweifelt grobkörnig sehen, und auch die Damenriege - stimmlich bestens angeführt von Fionnuala McCarthy - versuchte gar nicht erst, sich vom leicht ranzigen Lustspielgestus des Abends zu emanzipieren.

Wo aber verbarg er sich - des tobenden Rudels Kern? In der "Falstaff"-Musik, natürlich. Überraschend schlüssig fand der kroatische Dirigent Ivo Lipanovic mit dem Orchester der Deutschen Oper zu einem geistreichen Konversationston, leicht und vorwärtsblickend, der der Klamotte so etwas wie Spielkultur verlieh. Doch Musik allein, reicht das? Verdi lächelt milde, während Friedrich verlegen in sein Weinglas blickt. "Wir sind alles Genarrte", seufzt er leise.

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