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Kultur: Fatal frigid

Roman Polanski inszeniert Ibsens „Hedda Gabler“ in Paris

Das Stück spielt im bürgerlich eleganten Salon. Draußen im Garten herbstet es schon ein wenig, man sitzt beim Punsch, raucht Zigarren oder blättert im Fotoalbum der gerade vergangenen Hochzeitsreise, aber die Idylle ist ein Schlachtfeld. Hier herrscht nie erklärter Krieg, und die beiden Pistolen, die die junge Hausherrin Hedda Gabler von ihrem Papa, einem General, geerbt hat, sind in Heddas Händen wohl eher Massenvernichtungswaffen. Eine gegen das eigene Geschlecht, die andere gegen den männlichen Rest der Menschheit. Das macht Henrik Ibsens Stück und seine Titelheldin so sehr flirren – zwischen Scharfsinn und Hysterie, zwischen Spannung und Überspanntheit.

Überraschenderweise merkt man davon in Roman Polanskis neuer „Hedda Gabler“-Inszenierung in Paris fast nichts. Im Théâtre Marigny an den Champs-Élysees, vor dessen Eingang der Dramatiker und Emigrant Ödön von Horváth 1938 im Gewittersturm von einem Ast erschlagen wurde, tritt das schöne Unglück wie Oscar Wildes Sphinx ohne Geheimnis auf. Polanski hat Hedda mit seiner Lebensgefährtin Emmanuelle Seigner besetzt, die seit seinem Paris-Thriller „Frantic“ in den letzten 15 Jahren viel mehr Film als Theater gespielt hat – und jetzt wie eine hübsche, irgendwie ferngesteuerte Marionette wirkt.

Ihre Hedda besitzt in wechselnd weiß-rot-schwarzen Kostümen allenfalls die Kontur, aber nicht das kalt nervöse Flair, nicht den gesprungenen Kern der Figur. Ihr Lebensüberdruss gleicht da einem Lebensunterdruck. Immer nur hoheitsvoll blasiert oder schmerzlich geziert geraten Heddas Gebärden, ein intriganter Blick, ein spöttisches Lächeln werden so schon Naturereignisse. Überhaupt scheint das im Hintergrund des akribisch nachgezimmerten Salon-Bühnenbilds wackelnde Herbstlaub lange Zeit das Lebendigste zu sein, derart zäh kommt der hölzerne Typenreigen um Hedda in Schwung – und verläuft sich dann auf dem Edelboulevard.

Roman Polanski, der Oscar-gekrönte Meister des filmischen Thrills, hatte vor vier Jahrzehnten in seinem frühen „Ekel“ ein schmales, blond toupiertes Mädchen namens Catherine Deneuve auf eine Seelenreise durch alle Abgründe der selbstverletzlichen kühlen Unberührbarkeit geschickt. Das „Ekel“-Mädchen: Sie war die kleinbürgerliche Radikalisierung jener Prinzessin Hedda, der ihr Mann als redlich altbackener Jungwissenschaftler bloß die lästige Erbse ist und das Leben in provinzieller Ehe eine gefrorene Hölle. Bei Ibsen träumt Hedda, die Frühvereiste, von vergangenem Feuer („ich habe mich müdegetanzt“) oder zukünftigem Luxus. In der Gegenwart nie angekommen, hetzt sie den Freund ihres Mannes, der dessen Karriere und ihren Gefühlen gefährlich werden könnte, aus spielerischer Laune in den Tod, den sie dann auch selber sucht.

Von dieser hochfahrend Niedergeschmetterten, von dieser fatalen, frigiden, fantastischen Nervensäge aber ist bei Polanski und Seigner fast nichts zu sehen. Kein Schimmer auch, was Heddas Gatten Tesman (Guillaume de Tonquédec) jemals mit der Frau hat verbinden können. In dieser Distanzzone des Stücks läge der inszenatorisch zu ergründene Magnetismus von Anziehung und Abstoßung. Doch Polanski hat hier vor lauter Dialog nicht mehr den Subtext gefunden – und für die Körpersprache zwischen den Zeilen fehlen ihm wohl: die Bilder des Films.

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