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Kultur: Fatale Fransen

Flamenco Bolero in der Berliner Staatsoper

Von Sandra Luzina

Ein Andaluse ohne Bluse ist die Attraktion dieses Abends – doch beim Gastspiel des Ballet Teatro Español de Rafael Aguilar in der Staatsoper müssen die Aficionados sich erst einmal in Askese üben. Das Programm unter dem Titel „Flamenco Bolero“ vereint drei Werke des 1995 verstorbenen Rafael Aguilar, dessen Flamenco-Version von „Carmen“ weltweit gefeiert wurde. Ein Holzkreuz dominiert die düstere Szenerie von „El Rango“. Die tänzerische Umsetzung von Lorcas Frauendrama „Bernada Albas Haus“ gleicht einer kollektiven Bußübung. Doch die jüngste Tochter begehrt auf. Wenn sie sich nach dem abwesenden Mann verzehrt, muss sich Marino Claudio wollüstig an den Holzrahmen pressen, am Boden winden und aufbäumen. Das Stück wirkt nicht nur schwerblütig, sondern auch reichlich angestaubt.

In „Flamenco Bolero“ ist der Macho das Objekt der kollektiven Begierde. Ravels Bolero, längst zur Beischlaf-Musik herabgewürdigt, kommt vom Band, in einer wenig animierenden Interpretation. Der Beau präsentiert sich mit nackten Oberkörper, lässt lasziv die Hüften kreisen. Aufreizend streicht er sich über seinen modellierten Brustmuskel – um einem Dutzend Frauen einzuheizen. Die Damen schlagen den Takt mit dem Fächer, öffnen und schließen die Beine – doch sie sind nur Garnitur für den einsamen Macho. Juan Carlos Calleja ist sicher ein herrlicher Tänzer, hier aber mimt er den Gockel – das ist fatal, weil von anschwellender Peinlichkeit.

Nach so viel pomadisierter Leidenschaft kehrt die „Suite Flamenco“ zu den Wurzeln zurück. Die Choreografie ist ein unterhaltsamer Streifzug durch die verschiedenen Flamenco-Stile. Bei den rasanten Alegrias lassen es Rosa Jimenez und Lydia Cabello ordentlich krachen. Die temperamentvollen Damen zeigen, was eine satanische Harke ist – und demonstrieren ungezügelte Weiblichkeit. Trinidad Artiguez muss dagegen nur ihre Rüschenschleppe und ihr Fransentuch bändigen. Statt den Mann zu umgarnen, widmet sie sich den üppigen Stoffmassen ihres gelben Kostüms, wird wie ein Fohlen in der eigenen Stola gefangen. Fatale Fransen.

Höhepunkt des Abends ist die von Francisco Guerrero interpretierte Farruca. Guerrero ist lässig bis in die Fingerspitzen, sensibel bis in die kleinen Zehen. Im gestreiften Anzug mimt er den Schelm, sein Tanz becirct durch Ironie und Eleganz. Da kann jeder Macho einpacken. Die Musiker sitzen nun auf der Bühne und feuern die Tänzer bei ihren Soli an – am Ende schließlich wagt sogar der rundliche Sänger Emilio Florido ein Tänzchen, gibt sich die Sporen und setzt zum Wildpferdchen-Sprung an. Da triumphiert dann doch noch die ungezügelte Tanzlust.

Staatsoper, bis 24. Juli, Di–So.

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