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Kultur: Felsen, Sand und Himmel REISEBERICHTE Paul Bowles’ Geschichten sind Miniaturen des Enthusiasmus

Sich in der Fremde zu verlieren, das war das Thema von Paul Bowles. Der Weg führt dabei von der Zivilisation immer tiefer hinein in eine Einsamkeit und Leere.

Sich in der Fremde zu verlieren, das war das Thema von Paul Bowles. Der Weg führt dabei von der Zivilisation immer tiefer hinein in eine Einsamkeit und Leere. Ziel ist es, das eigene Ich hinter sich zu lassen. In seinem Roman „Einer mag fallen“ strandet ein gelangweilter Angestellter aus New York im halb anarchischen Tanger der Nachkriegszeit und verwandelt sich in einen Barbaren und Kleinkriminellen. „Der Himmel über der Wüste“, Bowles’ größter Erfolg, folgt einem Paar, das alle Grenzen hinter sich lassen möchte, auf einer Reise durch die Sahara. Der Mann verfällt dem Fieber, die Frau gerät in den Harem eines Arabers. Bowles war nicht unbedingt ein Existenzialist, aber ein Kiffer. Durch seine Prosa weht immer auch der Geruch von Haschisch.

Bowles’ Reiseberichte, die nun erstmals in einer deutschsprachigen Auswahl erscheinen, sind Höhepunkte ihres Genres. In ihnen erweist sich der Autor als ebenso genauer wie gewitzter Beobachter, seine poetisierenden Beschreibungen verdichten sich mitunter zu Miniaturen des Enthusiasmus. Etwa, wenn er 1953, vier Jahre nach der Veröffentlichung des „Himmels über der Wüste“, die Sahara schildert: „Dann ist da der Himmel, verglichen mit dem alle anderen Himmel nur halbherzige Anstrengungen darstellen. Massiv und strahlend bildet er immer das Zentrum der Landschaft.“ Bowles berichtet nüchtern, versucht zu entmystifizieren. Nur ein Zehntel der Wüste ist von Sand bedeckt, der Rest besteht aus zerklüfteten Bergen, Tälern und steinigem Ödland. Oasen sind menschengemacht. Doch wenn der Besucher sich darauf einlässt, kann er in dieser mineralischen Welt ein quasireligiöses Erweckungserlebnis finden, die „Taufe der Einsamkeit“. Er muss im Morgengrauen allein hinausgehen auf die Dünen oder eine Steinebene, „es bleibt nichts übrig als Ihr eigenes Atmen und das Geräusch Ihres schlagenden Herzens“.

Paul Bowles war 1931 auf Anraten von Gertrude Stein zum ersten Mal nach Tanger gefahren. 1947 kehrte er zurück und blieb, unterbrochen von ausgedehnten Reisen, bis zu seinem Tod 1999 dort. Warum er sich eine Stadt zur Heimat machte, die alles Alte zerstörte und in der er das Neue als „Beleidigung fürs Auge“ empfand, war ihm selber ein Rätsel. Es lag wohl am intensiv leuchtenden Himmel und daran, dass die Gebäude nur den „Rahmen“ für die Schönheit dahinter bildeten. „Man blickt nicht auf die Stadt, man blickt aus ihr heraus“, auf den Hafen und eine Bergkette, aufs Meer. Fès, die alte marokkanische Königsstadt, besingt Bowles als „bukolischen Ort“. Die Gassen sind zu eng für Autos, tagsüber erhebt sich das Geräusch von zweihunderttausend menschlichen Stimmen – „ein Gesumm“.

Paul Bowles:

Taufe der Einsamkeit. Reiseberichte, 1950 – 1972. Aus dem Englischen von

Michael Kleeberg.

Liebeskind, München 2012. 304 S., 22 €

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