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"Halbschatten" von Nicolas Wackerbarth handelt von einer jungen Frau, die ihr altes Ich zurücklässt.

© unafilm

Film-Nachwuchs: Berliner machen Schule

„Halbschatten“, „Echolot“ und „Das merkwürdige Kätzchen“: Drei Filme im Forum zeugen von der Qualität Berliner Film- und Schauspielhochschulen.

Er hat sie eingeladen, die junge Schriftstellerin, in seine Ferienvilla an der Côte d’Azur. Aber der Freund ist nicht da, nur die halbwüchsigen, missmutigen Kinder. Merle wartet im milchigen Sonnenlicht, tagelang. Als Romuald endlich kommt, macht sie sich heimlich davon. „Halbschatten“ von Nicolas Wackerbarth.

Zehn Schauspieler in einem Haus in Brandenburg: Die Clique will sich an den Freund erinnern, der sich im See ertränkt hat. Kühe stehen auf der Weide, Wind fegt über den Acker. Man redet, heult, tanzt, säuft, hat Sex, schläft auf dem Fußboden. Die zehn verstehen nicht, warum Franz sich davongemacht hat, für immer, sein Tod überfordert sie. „Echolot“ von Athanasios Karanikolas.

Familientreffen in einer Berliner Altbauwohnung. Die erwachsenen Kinder sind zu Besuch, der Onkel repariert die Waschmaschine, abends kommt die Verwandtschaft zum Essen. Die Oma schläft im Kinderzimmer, Clara, die Jüngste, schreit jedes Mal, wenn der Mixer brummt, die Katze schnurrt, der Hund knurrt. Stumm betrachtet die Mutter das Treiben in der Küche. „Das merkwürdige Kätzchen“ von Ramon Zürcher.

Drei Berliner Filme, drei Innenweltreisen. Über Menschen in Zwischenzeiten, beim Warten vor oder nach einem Ereignis. Sie sind mit sich selbst beschäftigt, jener Leere ausgesetzt, die von einer Abwesenheit ausgelöst wird oder im schönsten Trubel gedeiht. Und die Regisseure halten jene unscheinbaren Momente fest, in denen der Raum des Alltags sich weitet, damit das Leben sich einnisten kann.

Eine Villa mit Pool, ein Landhaus, eine Wohnung: Auf subtile Weise sind die Kammerspiele auch sozial verortet. Die Kamera befindet sich oft auf Hüfthöhe, eine blinde Passagierin, die keinen Überblick hat. Er habe einen Dokumentarfilm über ein fiktives Ereignis drehen wollen, sagt Regisseur Karanikolas, Jahrgang 1967, der den Film mit Studenten der Ernst-Busch-Schauspielschule entwickelt hat. Wackerbarth, ehemaliger DFFB-Absolvent und Mitherausgeber der Filmzeitschrift „Revolver“, nennt „Halbschatten“ umgekehrt einen „Thriller über ereignislose Tage“ – was auf das Gleiche hinausläuft. Wackerbarth, 1973 geboren, widmet seine dokumentarisch feine Beobachtung zunächst der Beziehungsdramatik, die Merles Aufkreuzen in der Villa in Gang setzt.

Allmählich nehmen die Kinder Kontakt zu ihr auf, ein Geburtstagskuchen wird besorgt, eine Party mit anderen Reiche-Leute-Kids gefeiert. Großartig der Moment, in dem Merle sich mit Romualds Kindern verbündet: Am Telefon bindet Merle dem Freund einen Bären auf, zum Vergnügen der Kids.

Aber vor allem geht es um Merle, Anne Ratte-Polle spielt sie mit stiller, hellwacher Intensität. Eine Frau, die sich aus ihrem bisherigen Ich davonstiehlt und sich Zeit damit lässt, ein neues zu formen. Sie hilft bei den Hausaufgaben, flirtet mit den Jungs, eine Eidechse läuft ihr beinahe über den Fuß, sie löst sich auf in ihrer Umgebung. „Ist da jemand?“, fragt Romuald, als sie sich am Ende vor ihm versteckt.

Anne Ratte-Polle spielt eine Protagonistin mit offenen Sinnen, die dennoch in sich gekehrt bleibt. Jenny Schily, die Mutter in „Das merkwürdige Kätzchen“, verkörpert das Gegenteil, eine gepanzerte Figur, ein latent aggressives Familienoberhaupt. Inspiriert von Kafkas „Verwandlung“, studiert Ramon Zürcher, Jahrgang 1982, in seinem DFFB-Abschlussfilm die kleinen Gesten, Achtlosigkeiten und Rituale im familiären Raum. Alle reden gleichzeitig, keiner hört zu. Ein Glas Milch, ein Knopf, der gleich abfällt, die Katze hebt elegant ihren Schwanz. Auch Zürchers Film lebt von der Aufmerksamkeit für das Kreatürliche am Menschen und die Dingwelt um ihn herum.

Berliner Schule? Ein abgegriffenes Etikett, und doch sind die Produktionen ohne das Werk von Angela Schanelec, Christian Petzold und Thomas Arslan nicht denkbar. In ihren stärksten Momenten fangen die Filme jene kaum manifestierbaren Schwingungen ein, die entscheidend sind für Nähe, Verständigung, Identität. Man kann es auch magischen Realismus nennen.

Berliner Schule?

Man könnte dazu auch Magischer Realismus sagen.

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