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Tiller

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Film und Bühne: Nadja Tiller: Die Furchtlose

Sie stand für Rossellini und Robert Siodmak vor der Kamera, arbeitete mit Jean Gabin, Yul Brynner, Jean Paul Belmondo und Jean Marais: Die Schauspielerin Nadja Tiller feiert 80. Geburtstag.

Einer der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegszeit fand vor einem Jahr ein unspektakuläres Ende. Im Februar 2008 ist der Schädel von Rosemarie Nitribitt auf einem Düsseldorfer Friedhof beigesetzt worden. Der Tod der Prostituierten, die im November 1957 ermordet in ihrem Frankfurter Appartement gefunden worden war, wird wohl nicht mehr aufgeklärt werden. Zu ihren Freiern sollen Größen aus Politik und Industrie gehört haben, deshalb wurde immer wieder über einflussreiche Vertuscher spekuliert. Ihr Schädel war als mögliches Beweismittel von der Staatsanwaltschaft zurückgehalten worden. Später landete er im Kriminalmuseum und wurde als Anschauungsmaterial in der Polizeiausbildung eingesetzt.

Die Nitribitt ist zum Synonym für die Dekadenz und Verlogenheit der Wirtschaftswunder-Epoche geworden. Ihren Nachruhm hat sie vor allem aber der Tatsache zu verdanken, dass über sie einer der besten deutschen Filme der fünfziger Jahre gedreht wurde: „Das Mädchen Rosemarie“. Die erotisch aufgeladene Gesellschaftssatire, von Rolf Thiele nach einem Drehbuch des Journalisten Erich Kuby inszeniert, kam schon ein Jahr nach dem Mord ins Kino und wurde ein Skandalerfolg. Nitribitt-Darstellerin Nadja Tiller kurvte im weißen Mercedes 190 SL durch Frankfurt, trug Pünktchenkleid und Hut und Hund und spielte die femme fatale mit sehr unschuldig großen braunen Augen. Für Aufruhr hatte der Film schon bei den Dreharbeiten gesorgt.

„Alle hatten Angst um ihre Reputation“, erzählte Tiller später in einem Interview. „Wir durften zwar im Frankfurter Hof wohnen. Aber wir durften in dem Hotel, das eine Anlaufstelle der Nitribitt gewesen war, nicht drehen. Der Produzent musste die ganze Hotelhalle in einem Studio in Berlin nachbauen lassen. Das Hochhaus mit dem Mercedes-Stern obendrauf, in dessen Autosalon die Nitribitt ihren 190 SL gekauft hatte, durften wir auch nicht zeigen. Nicht einmal die Frankfurter Tankstellen wollten sich als Location hergeben.“ Bei den Filmfestspielen von Venedig, die den Film trotz Protesten aus dem Bonner Innenministerium zeigten, wurde die Hauptdarstellerin gefeiert.

„Das Mädchen Rosemarie“ hätte Nadja Tillers Durchbruch zum Weltstar sein können. Sie bekam Angebote von Fellini (für „La Dolce Vita“), Antonioni („La Notte“) und Visconti („Rocco und seine Brüder“) – und lehnte alle ab. „Heute sagt man natürlich: Wie kann man nur?“, erzählte sie 1997 im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Aber damals war ich einfach schlecht beraten. Einfach dumm, aber ich habe aufgehört, mich darüber zu ärgern.“ Doch auch wenn nicht sie, sondern Anita Ekberg in „La Dolce Vita“ im Trevi-Brunnen badet, ist die Liste von Tillers Filmen noch immer beeindruckend genug. Sie stand für Rossellini und Robert Siodmak vor der Kamera, arbeitete mit Jean Gabin, Yul Brynner, Jean Paul Belmondo und Jean Marais.

Angefangen hatte die Tochter einer Operettensängerin und eines Hofschauspielers als Elevin der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst. Als sie 1949 im Badeanzug zur „Miss Austria“ gewählt wurde, verlor sie ihr Engagement im Theater in der Josefstadt. Sie ging zum Film und wurde mit der Familiensaga „Die Barrings“ (1955) bekannt. Mit ihrem Mann Walter Giller, den Nadja Tiller 1953 am Set zum Musikfilm „Schlagerparade“ kennengelernt und 1956 geheiratet hatte, lebt sie inzwischen in einem Hamburger Seniorenheim mit Elbblick. Gerade haben sie zusammen eine TV-Tragikomödie gedreht, die „Es liegt mir auf der Zunge“ heißt und vom Wirtschaftswunder-Fernsehkoch Clemens Wilmenrod handelt. „Vor dem Tod habe ich nur ein bisschen Angst“, hat die Tiller kürzlich bekannt. „Viel mehr fürchte ich die Hamburger Radfahrer.“ Heute feiert sie ihren 80. Geburtstag. 

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