zum Hauptinhalt
Blick der Dokumentaristin. Cecilia Mangini.

© Arsenal / Institut für Film und Videokunst

Film-Werkschau: die Dokumentaristin Cecilia Mangini: Arbeit ist das harte Leben

Cecilia Mangini ist eine Pionierin des italienischen Dokumentarfilms. Das Berliner Arsenal-Kino würdigt sie mit einer Retrospektive.

Die alte Dame mit dem wilden Lockenschopf ist Italiens erste und bedeutendste Dokumentarfilmregisseurin der Nachkriegszeit. Cecilia Mangini drehte schon Filme ab den späten 1950er Jahren, als Pier Paolo Pasolini die Leinwand für sich erst entdeckte und Lina Wertmüller, Anna Gobbi und Liliana Cavani noch von ihren Regiekarrieren träumten.

Unter den harten sozialen und kulturellen Zerreißproben eines industriellen Modernisierungsschubs brachte ihr Land in den Sechzigern ein großes Autorenkino hervor, in dem sich früher als anderswo auch einige Regisseurinnen durchsetzen konnten – von den Filmen zahlloser „frauenbewegter“ Dokumentarfilmkollektive der 1970er Jahre ganz zu schweigen. Die große Spannbreite zwischen rabiater Gesellschaftsanalyse, Trauerarbeit über die kulturellen Verluste und kühnen Erzählformen, die italienische Filme ihrer Ära auszeichnete, spiegelt sich auch im Werk der heute 88-Jährigen. Das Kino, sagt sie, sei aber weder männlich noch weiblich. „Das Kino ist das Kino.“ Basta.

Geboren 1927 in Molo di Bari, studierte Cecilia Mangini Film und arbeitete lange als Kritikerin, Herausgeberin von Filmzeitschriften und, so würde man es heute nennen, Kuratorin in Filmclubs – und sie tat alles dies entschieden in den Diskursräumen der Linken im kritischen Umfeld der damals starken, kulturpolitisch aktiven PCI, der Kommunistischen Partei Italiens. Vor mittlerweile fast 60 Jahren begann sie, Filme über das Leben junger Leute an den Rändern der Gesellschaft zu drehen, Filme über die Kluft zwischen Arm und Reich, über Frauenarbeit und die Elendsmigration aus den verarmten süditalienischen Regionen in den industrialisierten Norden.

Dynamische Rhythmisierung der Montage

Teils in Schwarzweiß, teils in Farbe leben ihre Filme von einer an Spielfilme erinnernden Kameraarbeit. Dazu gehören eine dynamische Rhythmisierung in der Montage, immer wieder ausführliche Originaltonberichte der Befragten, aus dem Off hörbar gemacht, und nicht zuletzt eine intensive Arbeit mit bewusst gesetzten, Original-Soundelementen – etwa der alles andere als einlullenden klassisch modernen Filmmusik ihres langjährigen Mitarbeiters Egisto Macchi. Dokumentarfilme à la Cecilia Mangini verbergen weder ihre Kunstfertigkeit noch die persönliche Nähe zu den vitalen, vielleicht verlorenen Kindern, Frauen und Männern, die sie porträtiert.

In „Ignoti alla città“ beobachtete sie 1959 ein Dutzend Jungen im Alter zwischen zehn und zwanzig Jahren aus den heruntergekommenen „Quartieri“ am Stadtrand von Rom. Sie zeigt ihre Kinderspiele, ihre Hilfsarbeiterjobs beispielsweise auf den Märkten oder als Metallsucher auf einer Müllkippe; und am Ende ist eine lange Sequenz zu sehen, in der sich Halbwüchsige im Schlamm an einem Baggersee balgen, freier auch als Pier Paolo Pasolini sie in seinen von Cecilia Mangini inspirierten Spielfilmen inszenierte. Pasolini schrieb dazu den Kommentar, halb Klage, halb Hymne.

Auch für „La Canta delle Marane“ (1962), eine Studie über spielende Kinder an den sommerlichen Wasserläufen in Rom, und „Stendalì“ (1959), einen Film über ein traditionelles Trauerritual unter Bäuerinnen in Apulien, verfasste Pasolini den in Dokumentarfilmen damals üblichen Off-Kommentar.

Abschiedsgesang in gespenstischer Trance

„Stendalì“ zeigt die zerfurchten Gesichter der alten Frauen, ihre schwarzen Kopftücher, ihre den Takt schlagenden Füße. Sie umstehen den offenen Sarg eines jung Verstorbenen, sie schwenken weiße Tücher und steigern sich mit ihrem Abschiedsgesang in eine gespenstische Trance – Momente, die die Kamera sogar aus dem Blickwinkel des Toten, aufzeichnet. Erst dann kommen die Männer des Dorfes, heben den Sarg auf ihre Schultern und bringen ihn ohne die Frauen auf den Friedhof.

Immer wieder nimmt Cecilia Mangini Gesichter in den Blick, die von harter Arbeit in der Sonne und Mangelernährung gezeichnet sind. In „Fata Morgana“ (1961) beobachtet sie Migranten, die mit dem gleichnamigen Zug aus Süditalien in Mailand eintreffen, Hab und Gut in Pappkartons auf die Schultern laden und ein Auskommen suchen. Wie ein Warnzeichen angesichts der aktuellen Migrationsströme verweist „Fata Morgana“ auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse Zugewanderter, die um 1960 in Slums vegetierten und – so ihr politisches Statement gegen die Monopolwirtschaft Italiens – als Billigarbeiter und Streikbrecher funktionalisiert werden.

Auch in „Essere Donne“ (1965) spürt Cecilia Mangini dem Umbruch in den Lebensverhältnissen italienischer Frauen nach – von der unbezahlten Landarbeit zur Billigarbeit in Fabriken. Die Träume der Marginalisierten und ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in den Zentren des wirtschaftlichen Wachstums brechen sich in ihren Filmen an der Wirklichkeit einer desolaten Politik und bewahren dabei stets die Persönlichkeit der Porträtierten. Italien hat sich seither verändert, Cecilia Manginis Werk trifft dennoch den Nerv der Zeit.

Bis Sonntag, 7. Februar, im Arsenal, Filmhaus am Potsdamer Platz. Am Donnerstag, 4.2., 20 Uhr, sowie Freitag, 5.2., 19 Uhr, in Anwesenheit von Cecilia Mangini.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false