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Wenzel Storchs Filme sind No-Budget-Ausstattungsorgien. Sein Outfit kündet davon.

© wenzelstorch.de

Filmemacher Wenzel Storch: Leute vor den Kopf stoßen? Schöner Nebeneffekt

Deutschlands extremster Filmemacher: Über Wenzel Storch und sein Werk ist gerade ein prachtvolles Buch erschienen. Und das Ladenkino in Berlin widmet ihm eine Werkschau.

Sein Name klingt, als handele es sich um eine Figur in einem surrealen Kinderbuch, aber es gibt den Mann wirklich: Wenzel Storch. Er ist Filmemacher, und zwar einer der Superlative. Der gebürtige Braunschweiger gilt als „seltsamster“ („Der Spiegel“), „tollkühnster“ („Rolling Stone“), „extremster“ (Sarah Kuttner), „besessenster“ („Die Welt“) deutscher Regisseur, andere nennen ihn einen absoluten Dilettanten oder „Terry Gilliam auf Crack“. So oder so haben Storchs Filme „mit nichts etwas zu tun, was es sonst im deutschen Kino gibt“, wie der Publizist Georg Seeßlen treffend resümiert.

Bislang hat Wenzel Storch drei abendfüllende Spielfilme gedreht. Auf „Der Glanz dieser Tage“ (1989), einen „Super-8-Monumentalfilm über das Geheimnis des Glaubens“, folgte „Sommer der Liebe“ (1992). Der Versuch, „die siebziger Jahre aus Sperrmüll nachzubauen“, zog ein No-Budget-Ausstattungswunder aus knallbuntem Pop-Design, Miniröcken, Chris-Roberts-Starfotos und Wim-Thoelke-Ofen nach sich. Überhaupt sind alle Filme von Wenzel Storch No-Budget-Ausstattungswunder.

2005 kam schließlich „Die Reise ins Glück“ ins Kino, ein psychedelisches Abenteuermärchen, dessen Held Kapitän Gustav auf einem Schneckenschiff samt einer aus Mensch und Tieren (Stimme: Harry Rowohlt!) zusammengewürfelten Mannschaft unterwegs ist. Wie alle Storch-Protagonisten wird Gustav von dessen Lieblingsdarsteller gespielt: dem Lastwagenfahrer Jürgen Höhne. Die deutsche Filmgeschichte kennt Wenzel Storchs Oeuvre denn auch als „Jürgen-Höhne-Trilogie“. An diesem Wochenende kann man sie unter dem Titel "1000 und ein Storch" im Berliner Ladenkino in Augenschein nehmen, in Anwesenheit des Regisseurs..

Wenzel Storch: Kein Freund der Wirklichkeit

„Ich bin nun mal kein großer Freund der Wirklichkeit“, sagt Wenzel Storch. Nun ist über den Erfinder all dieser halluzinatorischen Bilderwelten ein großformatiger Prachtband erschienen: „Wenzel Storch: Die Filme“ (Martin Schmitz Verlag, 336 S., 29,80 Euro). Das Buch zeigt Teilbestände des gewaltigen Privatarchivs, das der heute 53-jährige Autor zusammengetragen hat: Szenenfotos, Aufnahmen von den Dreharbeiten, Bilder aus dem Familienalbum („Im Reich der kurzen Lederhose“), katholische Erbauungsschriften („Es gibt kein Problem, das man mit dem Rosenkranz nicht lösen kann“), Storyboards, Fanpost, Unterwäschewerbung und Pop-Poster aus den 70er Jahren, von Mouth & McNeal bis Alice Cooper.

Im Textteil, der sich überwiegend aus kompilierten Interviews zusammensetzt, gibt Storch so lakonisch wie pointiert Auskunft über Leben und Werk. Über seine katholische Kindheit: „Da freust du dich richtig, wenn nach dreißig ‚Ave Marias’ mal Schluss ist und du endlich wieder zurück an deine Schularbeiten darfst.“ Über Bildungserlebnisse: „Dann hab ich mir den ‚Taugenichts‘ von Eichendorff aus der Stadtbücherei geholt und fand den genauso gut wie ‚Old Surehand‘.“ Über seinen Weg zum Film: „Die Berufe, die es so gab, haben mir alle nicht gefallen.“ Und die Wirkung seiner Arbeiten? „Es ist natürlich überhaupt nicht meine Absicht, die Leute vor den Kopf zu stoßen. Das ist ein schöner Nebeneffekt.“

Eine legendäre Wenzel-Storch-Episode spielt in Göttingen: Als „Sommer der Liebe“ 1994 im dortigen „Lumière“-Kino gezeigt werden sollte, entführte eine autonome Lesbengruppe den ersten Akt („sexistisch“, „rassistisch“!) und drohte den Kinobetreibern: „Wenn sich keine grundlegende Änderung Eures Bewusstseins in Eurer Filmauswahl widerspiegelt, sehen wir uns gezwungen, auch weiterhin Filmrollen zu entwenden. ,Sommer der Liebe‘ ist in einem Schließfach am Hauptbahnhof. Wir beobachten euch weiter.“ Stimmt schon: Man sollte Wenzel Storch und sein prächtiges Werk unbedingt im Auge behalten.

Das b-ware!ladenkino (Gärtnerstr. 19) zeigt ab heute, 11.4., bis Sonntag Storchs Filme, jeweils 21 Uhr. Der Regisseur ist anwesend. Infos: ladenkino.de

Christian Maintz

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