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Haut ist der Hauptdarsteller: Stacy Martin und Shia LeBeouf in "Nymphomaniac"

© Berlinale

Filmkritik: "Nymphomaniac": Zwei Stunden Sex

Haut ist der Hauptdarsteller: In Lars von Triers erstem Teil von „Nymphomaniac“ geht es vor allem um Sex. Das schreit natürlich nach Skandal, ist aber beim ausdauernden Angucken doch eher ein Skandälchen. Wirklich spannend ist nur eine Passage des Films.

Nach etwa zwei Stunden von „Nymphomaniac Volume 1 (Long Version)“, so der offizielle Titel des mit einiger Dringlichkeit erwarteten Director’s Cut des ersten Teils von Lars von Triers jüngstem Werk, geschieht etwas Überraschendes: der Einbruch großen Schauspiels in den übrigen Film. Und er ist allein Uma Thurman zu verdanken. Gewiss, Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgård hatten in ihren ausführlichen Dialogen bereits gewisse Entfaltungsmöglichkeiten, und auch die junge Stacy Martin sowie Shia LaBeouf waren durchaus anwesend. Doch erst Thurman als Mrs. H, Protagonistin des gleichnamigen dritten Kapitels des fünf Kapitel umfassenden Films, bringt Glanz in die Bude.

Freilich, es ist der Glanz weiblichen Schmerzes, das bleibt bei Lars von Trier schwerlich aus – tatsächlich marschiert sie mitsamt ihren drei kleinen Söhnen in die Wohnung der jungen Nymphomanin namens Joe ein, die dort im Stundentakt wechselnde Lover empfängt. Einer davon ist Mr. H; Joe will ihn zwar loswerden, aber – schwupps – steht auch er schon wieder mitsamt Koffern, bereit zum Einzug, in ihrer kleinen Küche. Thurman nun macht dem Paar eine großartige Szene: Bitterkeit, Selbstironie, Zynismus, Sarkasmus, Tränen – alles dabei. Doch da steht schon der nächste Lover vor der Tür und gesellt sich verlegen zu dem derangierten Ensemble. Nur Mrs. H reagiert geistesgegenwärtig: „Oh, eine ménage à trois …“

Was passiert mit einer Person, die völlig auf den Sex fixiert ist?

Große Lacher im Berlinale-Palast angesichts dieser irgendwie boulevardesken Szene! Wie überhaupt großzügig gelacht wird vor allem angesichts mancher absonderlich enzyklopädischer Exkurse des von Skarsgård verkörperten Herrn Seligman. Doch Buße naht sogleich, im ganz in Schwarz-Weiß gehaltenen vierten Kapitel. Joes grundgütiger Vater (Christian Slater) liegt, wenn auch aussehend wie das blühende Leben, im Krankenhaus im Todeskampf, finalen Deliriumsattacken ausgesetzt. Klar, dass Joe da ab und zu zur Abwechslung hinab muss in die Klinik-Katakomben, wo junge männliche Dienstkräfte die Betten desinfizieren. Und was macht sie da mit ihnen? Womit wir beim Thema wären.

Sex. Ja, Sex. Sex als eher physische denn entwicklungspsychologische Notwendigkeit (Entjungferung in der Mopedbastlerwerkstatt). Sex als Spiel (zwischen Mädchen, die auf Männervernaschungsrekorde schon mal eine Tüte vieler bunter Smarties aussetzen). Sex als Sucht (acht Männer pro Nacht müssen es schon sein). Sex mit dem Extra der Liebe (hierfür steht Jérôme alias Shia LaBeouf). Sex als Gefühlskiller – und Cliffhanger: Kaum wird es relevant und tragisch zugleich, ist „Volume 1“ einigermaßen abrupt nach 145 Minuten zu Ende.

Der Start dagegen ist stark, ebenso die gedankliche Ausgangsposition. Was passiert mit einer Person, die völlig auf den Sex fixiert ist – und was mit einer entsprechend disponierten Gesellschaft? Wann schlägt Sexhunger in Glücksunfähigkeit und schließlich Weltekel um? Ist die sexuelle Revolution nicht längst in die Terreur übergegangen, das Endstadium der meisten Revolutionen? Und was ist von einem Widerstand gegen einst befreiende Bilder und Handlungsweisen zu halten, der selber immer fanatischer wird?

Bemerkenswert, wie Lars von Trier die Geschlechterrollenverteilung vornimmt

Mag sein, dass Lars von Trier, wenn er nicht bloß filmdienstlich an seiner Psychoselbstanalyse herumwütet, solche Fragen auch umgetrieben haben. Der Film funktioniert vor allem als Exorzismus – und nur hierin ist er pornografisch: indem er in seiner sexuellen Ikonografie nur auf Masse setzt, auf das Serielle, die Überdosis. Dabei hat immer, wenn ein Bild womöglich zu erotisch-kulinarisch zu geraten droht, auch das explizit Hässliche seinen Auftritt. „Nymphomaniac“ will absolut unsexy sein – zumindest das ist Lars von Trier, dem Hohepriester der Unlust, ausgezeichnet gelungen.

Nur: Provoziert hier irgendjemand oder irgendetwas, zumindest in Volume 1? Allenfalls die fast alles bald überwölbende Monotonie. Daran hat, neben den sogenannten drastischen Szenen, die den öden Arrangements einstiger Schulmädchen-Reports nur sekundenweise ein paar sichtbar in Kopulation befindliche primäre Geschlechtsmerkmale hinzufügen, vor allem die Rahmenhandlung ihren Anteil. Deren eindrücklichstes Element ist freilich in den ersten Filmminuten erledigt: Übel zugerichtet liegt Joe (Charlotte Gainsbourg; nur in den Rückblenden verkörpert von Stacy Martin) im Schneeregen in einem backsteinummauerten Hof. Dort wird sie von dem freundlichen Herrn Seligman (Stellan Skarsgård) aufgelesen. Beider Gespräch aber ist bald ebenso trist und ermüdend wie der Anblick der heruntergewohnten Schlafkammer, in dem es stattfindet.

Bemerkenswert, wie geradezu altfränkisch Lars von Trier hierbei die Geschlechterrollenverteilung vornimmt: Joe ist das triebhafte Dummerchen, das endlich jemandem sein Leben als „böser Mensch“ beichten will, Seligman verlegt sich, wenig in moralischen Kategorien denkend, aufs Dozieren. Das mag anfangs, als er etwa Wissenswertes über das Wesen des Fliegenfischens ausbreitet, noch schön schrullig sein. Bald aber verklickert er, durchaus weiter ausholend, der bildungsfernen Joe bloß Wikipedia-Basics, von der Polyphonie über Edgar Allan Poe bis hin zum dänischen Philosophen Kierkegaard. Kant übrigens kommt auch ein paarmal vor in der englischen Originalversion. Oder sollte damit ganz was anderes gemeint gewesen sein?

10.2., 12 Uhr (Friedrichstadt-Palast) und 21.30 Uhr (HdBF), 16.2., 21 Uhr (Berlinale-Palast)

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