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Half Moon

© pandora

Filmkunst: Ich bin das Volk

Filmregisseur Bahman Ghobadi bestimmt unser Bild von seiner kurdischen Heimat. In seinem neuen Film "Half Moon" macht sich ein alternder Musiker mit seiner ganzen Sippe auf in die vermeintliche Freiheit.

Dieser Tage sind in der iranischen Stadt Karaj über 200 Jugendliche bei einem Rockkonzert festgenommen worden. Doch nicht nur westliche Popkultur ist im Iran unerwünscht, auch die kurdische Volksmusik steht dort – wie einst auch im Irak Saddam Husseins – unter Subversionsverdacht. Wenn überdies Frauen singen wollen, dürfen sie das nur innerhalb der eigenen vier Wände und vor anderen Frauen tun.

Bereits vor fünf Jahren hatte der iranisch-kurdische Filmregisseur Bahman Ghobadi in seinem zweiten Spielfilm diese Bedrängnisse als Metapher für die bedrohte kulturelle Identität der Kurden thematisiert. „Verloren im Irak“ schickte einen greisen kurdischen Musiker mit einem Motorrad und zwei Söhnen über die Gebirgsgrenze in den Irak – auf der Suche nach der verschollenen Ex-Frau, einer Sängerin. In „Half Moon“ geht ein ebenso berühmter und altersschwacher Musiker erneut auf beschwerliche Reise und setzt seine zehn musizierenden Söhne in einen klapprigen Minibus, um in der vermeintlichen neuen Freiheit des Iran die verfemte Musik aufzuführen.

Wieder spielen geheimnisumwehte Sängerinnen eine Rolle, ja, am Wegesrand erscheint gleich ein ganzes Dorf voll trommelnder, tanzender und singender Frauen, die von den Machthabenden ins Exil verbannt wurden. Auch sonst scheut Ghobadi weder drastische Symbolik noch spektakuläre Effekte. Letztere bringen den ehemaligen Kiarostami-Assistenten mit einigen Anleihen bei Kusturica mitunter in den Grenzbereich zum ostasiatischen Actionkino – etwa wenn Särge durch Schneewehen schlittern.

Der Humor zeigt sich ebenfalls auf rustikalem Niveau, etwa wenn die Verirrten im Niemandsland vor ihrem Bus per Laptop den rechten Weg nach West-Aserbaidschan suchen. Dass bei einer solchen Abenteuerkulturreise Frauen nur als Gespenster dabei sein dürfen, ist bitter, aber den geschilderten Verhältnissen wohl angemessen.

Aufgeben kommt trotz größter Schwierigkeiten nicht in Frage

Immer stärker mischen sich in den stimmgewaltigen weiblichen Gesang und das Männergeplapper die Echos von MGs und Granaten. Und unten auf der Straße versperren unsichtbare Grenzlinien, autokratische Provinzdespoten und fehlende Papiere den Weg. Doch einfach im schneeverwehten Niemandsland aufgeben würde Bahman Ghobadi seine Protagonisten nie. So fällt die Rettung dann – buchstäblich von oben – aufs Wagendach, bleibt in ihren Absichten aber ebenso dunkel wie gefährlich.

Ghobadi, der 1999 erstmals mit einem kurzen düsteren Dokumentarfilm über Waisenkinder im iranischen Grenzgebiet auf sich aufmerksam machte, hat in seinen bislang vier motivisch verknüpften Spielfilmen eine Art kurdischen Romantizismus entwickelt. Sein nationales Anliegen betreibt er mittels massiver metaphorischer Überhöhung – und setzt sich so von der sozialen Präzision etwa in Yilmas Güneys „Yol“ (1982 als erster Film mit Sequenzen in kurdischer Sprache) und Yesim Ustaoglus „Reise zur Sonne“ (1999) deutlich ab. Problematisch daran ist nur, dass Ghobadis Filme derzeit das westliche Bild der kurdischen Kultur monopolisieren. Dem europäischen Publikum mag das folkloristische, wilde Kurdistan passen – ein paar Patriarchen und darbende Kinder weniger und ein paar wirklichkeitsnahe Frauenfiguren mehr dagegen täten der kurdischen Sache im Kino besser.

Eiszeit und Filmkunst 66 (jeweils OmU)

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