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Gaspard Ulliel spielt in "Saint Laurent" den französischen Modeschöpfer.

© Thibault Grabherr et Anouchka de Williencourt

Filmreihe Bertrand Bonello: Ein Kino zwischen Pornografie, Dekadenz, Mode und Terror

Das Kino Arsenal zeigt das Werk des französischen Autorenfilmers Bertrand Bonello, das mit der Popkultur und Genres spielt.

Von den Filmen Bertrand Bonellos geht etwas Verführerisches aus, sie spielen mit den attraktiven Oberflächen der Popkultur und des Genrekinos, mit Aufladungen und Affekten. Dass ihre Zeichen dabei in neuen, auch spekulativen, Verknüpfungen auftauchen, macht sie erst interessant, manchmal auch irritierend.

In Bonellos jüngster Arbeit „Zombi Child“ (ab 8. Oktober regulär im Kino) verlaufen zwei Handlungen in Parallelen: eine spielt 1962 in Haiti und erzählt die angeblich wahre Geschichte von Claire Narcisse, der durch Voodoo zum Zombie wird und Sklavenarbeit auf einer Zuckerrohrplantage verrichten muss.

Schauplatz in der Gegenwart ist ein von Napoleon gegründetes Mädcheninternat, an dem die Clique der liebeskranken Fanny Narcisses Enkelin Mélissa als neues Mitglied aufnimmt. Der Film lebt von den Kontrasten aus haitianischer Volkserzählung und Teenie- bzw. Horrorfilm. In den geheimen Ritualen der Schulmädchen hallen die Voodoo-Zeremonien wider, in der Infizierung mit Liebeskummer das Gefangensein im Zombie-Zustand. Dass das eine mit dem anderen zu tun hat – und gleichzeitig überhaupt nichts –, ist in Bonellos Werk ein wiederkehrendes Moment.

"Walk on the Wild Side" ist die Reihe treffend betitelt

Etwa in „Nocturama“ von 2016, dessen Plot um gewaltsame Anschläge einer Gruppe Teenager unweigerlich Parallelen zu der islamistischen Terrorserie wachrief, die Paris 2015 heimsuchte. Gleichzeitig behauptet sich Bonellos Prämisse im Raum einer sehr filmischen Fiktion. Dass der französische Auteur gerne mit Splitscreens arbeitet, ist daher mehr als ein stilistischer Spleen – in „Saint Laurent“ (2014) über den Modedesigner werden Nachrichtenbilder von Demonstrationen und militantem Aktivismus mit Aufnahmen von YSL-Modenschauen konfrontiert.

Das Kino des Autodidakten und gelernten Musikers Bonello ist Verbindung und Trennung zugleich. Die Bezüge zur gesellschaftlichen Wirklichkeit sind nie direkt, vermittelt werden sie stets durch referenzielle Brechungen und Spiegelungen. Für die Werkschau holt sich das Arsenal nun seinerseits eine popkulturelle Anleihe, sie ist nach einem Song von Lou Reed betitelt: „Walk on the Wild Side“.

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Der Weg auf der wilden Seite verläuft bei Bonello entlang zeichenhaft codierter Felder: Pornografie, Prostitution, Dekadenz, Mode, Terror, Revolte. In „Le pornographe“ (2001) hadert ein alternder Pornoregisseur (Jean-Pierre Léaud) mit der Warenförmigkeit des Geschäfts, das von den freiheitlichen Utopien der Siebziger nichts übriggelassen hat.

Geschlossene Systeme, selbstgeschaffene Gefängnisse

„L’Appolonide“ (2011) schildert mit einer Mischung aus zeitgeschichtlicher Detailgenauigkeit und mythologischer Entrücktheit den Alltag in einem Pariser Edelbordell an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. In „De la guerre“ (2008) verschlägt es einen Filmemacher in der Schaffenskrise in eine kultische Gemeinschaft an der Grenze von radikaler Utopie und Apokalypse.

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Bonello entwirft diese Szenarien jeweils als in sich geschlossene Systeme – „Souvenirs de la maison close“ heißt es im Untertitel zu „L’Appolonide“. Geschlossene Anstalten – ungewollte oder selbstgeschaffene Gefängnisse – sind die filmischen Universen von Bonello eigentlich immer: ob Freudenhaus, Mädcheninternat, die nach Außen abgedichtete Fantasiewelt eines Yves Saint Laurent oder das evakuierte Luxuskaufhaus, in das sich die Jugendlichen in „Nocturama“ nach ihren Anschlägen zurückziehen.

Nicht zuletzt zeigen sich die hermetischen Räume als Bühnen für Aufführungen, Performances, für Zitate und Codes. Auch die Musik hat ihren Auftritt. Dass die Linearität der Zeit in Bonellos Filmen immer wieder suspendiert wird, sich auflöst in Ellipsen und Gleichzeitigkeiten, weist bei allem hypnotischen Sog auch auf ein geschichtsreflexives Moment. „Ich schlage Ihnen eine Geschichte vor, die diskontinuierlich, sprunghaft ist“, erklärt in „Zombi Child“ ein Lehrer den Schülerinnen.
Ab dem 2. Oktober im Kino Arsenal

Esther Buss

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