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Beeindruckende Biegsamkeit: Artistinnen in "The Ghosts".

© Gianmarco Bresadola / drama-berlin

Finale von "Tanz im August": Verbogene Liebe

Finale eines furiosen Festivals: „The Ghosts“ von Constanza Macras beschließen den Tanz im August. Doch trotz der beachtlichen Körperbeherrschung der Artisten hängt der Abend in den Seilen.

Von Sandra Luzina

Es war ein Festival der Entdeckungen. Beim Tanz im August lag der Fokus diesmal auf Asien. Das bot die Gelegenheit, die unterschiedlichen Länder einmal nicht unter dem Gesichtspunkt einer boomenden oder crashenden Wirtschaft zu betrachten. Die künstlerische Leiterin Virve Sutinen hat mit dem Tao Dance Theater aus Peking und der Korea National Contemporary Dance aus Seoul zwei starke Ensembles eingeladen, die noch nie in Berlin zu sehen waren. Aber auch die kleineren Projekte wie etwa „Soft Machine“ von Choy Ka Fai fanden viel Anklang bei den Zuschauern. Überhaupt hat Virve Sutinen es geschafft, den Tanz im August zu einem großen Publikumsfestival zu machen. Sie hat das Programm entzerrt, aber dafür die Qualität deutlich angehoben: 18 Produktionen präsentierte der Tanz im August in seiner 27. Ausgabe sowie erstmals eine Retrospektive: In diesem Jahr war sie der britischen Choreografin Rosemary Butcher gewidmet – auch sie eine Entdeckung. Sutinens Entscheidung, insgesamt weniger Produktionen zu zeigen, dafür aber mehr auf Klasse zu setzen, war goldrichtig.

Zum Asien-Schwerpunkt passte auch die Abschlussproduktion des Festivals: Die Berliner Choreografin Constanza Macras zeigte in der Schaubühne als Uraufführung „The Ghosts“. Bei ihrer Recherchereise durch China, zu der das Goethe-Institut Peking sie 2013 eingeladen hatte, besuchte Constanza Macras auch eine Schule für Akrobatik in Guangzhou. Und sie entdeckte einen heruntergekommenen Vergnügungspark, in dem ein Onkel und seine drei Nichten ein prekäres Dasein als Artisten fristen.

Akrobaten als "sozialistische Kulturarbeiter"

Fünf chinesische Akrobaten im Alter zwischen 15 und 52 Jahren wirken nun als Gäste bei der Produktion „The Ghosts“ mit, auch die drei Nichten aus dem Geisterpark. Auf Biegen und Brechen: Es sind halsbrecherische Acts, die das Trio zeigt. Es tut fast schon weh, den biegsamen Mädchen bei ihren Kontorsionen zuzuschauen. Doch sie lächeln tapfer, so wie sie es gelernt haben. Macras will nicht nur „begnadete Körper“ – so vermarktete André Heller vor Jahren die chinesischen Akrobaten – und artistische Sensationen zeigen. Sie will anhand der Biografien der Mädchen auch etwas über die chinesische Gesellschaft, ihre Härten und Ungerechtigkeiten erzählen.

Leider war die Uraufführung von einer Panne überschattet. Wenn zunächst Huanhuan Zhang auf die Bühne kommt und auf Chinesisch zu erzählen beginnt, verstehen die meisten Zuschauer nur Bahnhof. Da der Beamer ausgefallen war, konnte man auch die englische Übersetzung nicht lesen. Macras selber stoppte die Vorstellung, die von vorn begann. Der Zwischenfall wirkte fast schon symptomatisch.

Szene aus „The Ghosts“.
Tanz vor der Opferflamme. Szene aus „The Ghosts“.

© David Baltzer/bildbuehne.de

Fernanda Faras aus Macras’ eigenem Ensemble Dorky Park besingt zunächst das neue China mit seinen Nachtclubs, Shoppingmalls, Supermärkten und Massagesalons. Später referiert sie über die lange und wechselvolle Geschichte der Artistik in China. Traten die Artisten zuerst nur für den Kaiser auf, gehörten sie seit dem 14. Jahrhundert zur Volkskultur. Mao Zedong erhob die Artistik dann in den Rang einer Nationalkunst. Sie sei eine „revolutionäre Kunst“ und „die darstellende Kunst des Proletariats“, verkündete der große Führer. Die Akrobaten waren nun „sozialistische Kulturarbeiter“ – ihr sozioökonomischer Status verbesserte sich. Aber jeder Fauxpas galt schon als konterrevolutionär.

Die Artisten sind vorgeführte Objekte

Die Geschichte des abwesenden Onkels steht stellvertretend für die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Er wollte der bittersten Armut entfliehen und musste doch während der unglaublich harten Ausbildung zum Akrobaten ständig Hunger leiden. Heute drillt er seine Nichten, die so wie er aus armen Familien kommen. Sie wurden mit sieben Jahren dazu verdonnert, die mühsame Kunst des Verbiegens zu erlernen und den Schmerz nicht zu zeigen. Eine von ihnen unterstützt den Sohn ihrer Stiefeltern, damit er studieren kann. Mädchen sind in China immer noch weniger wert als Jungen.

Macras knüpft in „The Ghosts“ auch an die Geistermythologie an. In China gibt es eine Tradition der hungrigen Geister – meist sind es Frauen von verführerischer Erscheinung. Weiß verhüllt ziehen die Akrobatinnen in einer Prozession über die Bühne. Sind sie unerlöste Gespenster in einem Zwischenreich? Die Szene sieht schön aus, bleibt aber schleierhaft.

„The Ghosts“ ist der Versuch, China über die unzerbrechlichen Körper zu verstehen. Doch der Abend hängt in den Seilen, auch wenn die Artisten immer wieder staunen lassen ob ihrer Körperbeherrschung. Um eine Reflexionsebene einzuziehen, werden auch Texte aus dem Essayband „China in zehn Wörtern“ von Yu Hua verwendet. Doch die Elemente fügen sich nicht zu einem Ganzen. Und die Artisten wirken hier wie vorgeführte Objekte. Sie balancieren einen Tisch auf ihren Fußsohlen, bilden Pyramiden und turnen gegen den Abstieg an – bringen aber keine Haltung mit. Die soll dem Stück nachträglich aufgepropft werden.

Auch wenn „The Ghosts“ nicht überzeugen konnte: Insgesamt war es ein guter Festival-Jahrgang. Auf Virve Sutinen und ihre Nase kann man sich verlassen.

Weitere Vorstellungen am 5.9., 21 Uhr, sowie am 7./8.9., 20 Uhr.

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