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Kultur: Finish in der Sauna

Geschichten vom Durchkommen: Hartz IV und das neue deutsche Kino auf den 39. Hofer Filmtagen

Bewerbungsgespräche. Ständig werden Bewerbungsgespräche geführt, man guckt das nicht gern. Da sitzt jemand, der ist extrem nervös und darf es sich nicht anmerken lassen. Bloß nicht die Augen niederschlagen, nicht auf der Stuhlkante kippeln. Unangenehme Situation: Die komplette Zukunft hängt davon ab, während das Gegenüber einen taxiert und sich selber nicht sonderlich wohl fühlt. Ein Machtkampf: soziale Auslese, Überlebens-Wettbewerb, ein Endspiel womöglich.

Auf den 39. Hofer Filmtagen, dem rituellen Familientreffen des deutschen Films, gab es kaum einen Film ohne solche peinlichen Momente. Vorstellungsgespräche, Arbeitsamts-Besuche, Kreditanträge, Jobsuche von kleinen Leuten bis zum gehobenen Industrie-Management. Reality bites. Hat das Kino etwa Hartz IV entdeckt und bildet nun eine große Koalition der Solidarität mit den Verlierern des Turbo-Kapitalismus? „Nein“, widerspricht Andreas Dresen, dessen Ostberliner Melo-Komödie „Sommer vorm Balkon“ in Hof Deutschlandpremiere feierte. „Man sagt sich nicht, ich verfilme jetzt den Übergang vom Sozialstaat zum Individualstaat, sondern man erzählt Geschichten von Leuten. Von Katrin zum Beispiel, die Arbeit sucht und darüber nicht groß lamentiert, aber sie hat halt das Problem, dass sie ihrem Sohn die Turnschuhe nicht bezahlen kann. Selbst die Arbeitslosen reden nicht den ganzen Tag über ihre Arbeitslosigkeit. Jedenfalls nicht, wenn sie auf dem Balkon sitzen.“

Auf Dresens Balkon sitzen Katrin (Inka Friedrich) und ihre Freundin Nike (Nadja Uhl), die als Sozialarbeiterin alten Leuten den Hintern wäscht. Beide suchen ein bisschen Glück, ein Fortkommen und einen Mann. Sie kriegen es nicht hin – und nehmen sich trotzdem, was sie kriegen können. Berlin, Ecke Prenzlauer Berg: Wie ein Schwalbennest hängt der Balkon hoch über der Straße, „an der Kante zwischen Refugium und Außenwelt“, sagt Dresen. Ein Mini-Paradies, aus dem man auch abstürzen kann, ein prekärer Ort. So wie das Kino: Auch Filme docken an die Realität an und gewähren zugleich Zuflucht davor.

Weil sich in Hof alljährlich vor allem das junge deutsche Kino präsentiert, mit Erstlingswerken und TV-Debüts, dominieren hier gewöhnlich die Geschichten vom Erwachsenwerden. Erste Liebe, Abschied von den Eltern, Entdeckung der Außenwelt. Nichts davon in diesem Jahr: Die Filmhelden sind erwachsen geworden, sie haben Kinder, Familie und Finanznöte, schlagen sich mit erwachsenen Problemen herum. Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase („Solo Sunny“), der auch das wunderbar tragikomische Buch zu „Sommer vorm Balkon“ schrieb, meint dazu: „Dem Kino in Deutschland hat vielleicht ein Jahrzehnt lang die Nähe zur sozialen Wirklichkeit gefehlt. Dass sie jetzt wieder auftaucht, hat damit zu tun, dass die Realität selbst sich wieder stärker bemerkbar macht.“ Dresens Film nennt er eine „Geschichte vom Durchkommen, von der täglichen Tapferkeit.“

Geschichten vom Durchkommen: wie sich die Filme gleichen. Celia Rothmunds Dokumentarfilm „Zeit ohne Eltern“ erzählt in strengen, aufwühlenden Bildern von zwei DDR-Familien, die vom SED- Staat zerstört wurden. Republikflüchtige Eltern landeten im Knast, die Kinder wurden ins Heim gesteckt. Man gewinnt Respekt vor der schier übermenschlichen emotionalen Anstrengung, die es bedeutet, am staatlich verordneten Liebesverrat zu zerbrechen und hinterher vielleicht doch wieder zusammenzufinden.

Oder Alain Gsponers TV-Spielfilm „Rose“ (der dank Hof einen Filmverleih gefunden hat): Skizzen vom totalen Alltagschaos einer allein stehenden Mutter mit drei erwachsenen Söhnen im Provinzkaff Fürstenfeldbruck. Der eine kifft zu viel, der andere kriegt als Bank-Lehrling den Mund nicht auf, während der Älteste die Nase voll davon hat, immer den Vaterersatz spielen zu müssen. Und dann taucht auch noch der Taugenichts von leiblichem Vater wieder auf. Corinna Harfouch verleiht ihrer Titelfigur eine aufregende Mischung aus Coolness, Mutterwitz und Verletzlichkeit.

Oder „Im Schwitzkasten“ von Eoin Moore: Sieben Berliner treffen sich jeden Donnerstag in der Sauna. Ein Langzeitarbeitsloser (Andreas Schmidt), eine frisch gefeuerte Stewardess (Esther Zimmering), eine Sozialhilfeempfängerin (Laura Tonke), ein Wahlkampfredenschreiber (Edgar Selge), eine geschiedene Versicherungsmaklerin (Steffi Kühnert) und die Geschwister, die die überschuldete Sauna betreiben (Christiane Paul und Charly Hübner). Lauter Leute, sagt der in Berlin lebende Regisseur, „die gemerkt haben, dass Vater Staat nicht mehr den Babysitter für sie spielt“. Von wegen soziale Kälte: Man schwitzt beim Aufguss, heckt Pläne füreinander aus – die meisten gehen schief. Wenigstens ist man in der Sauna nicht allein.

Wie Dresens Film ist auch „Im Schwitzkasten“ eine Puzzle-Arbeit, eine Patchwork-Story mit improvisierendem Schauspieler-Ensemble samt offener Form, ohne Happy End, ohne Katharsis. Einmal mehr paart sich der gute alte soziale Realismus mit einer im deutschen Kino neuen, auch visuellen Lakonie. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Defa meets Beziehungskomödie: Schon das unbehagliche Bewerbungsgespräch, das Dresens Film eröffnet, endet mit einer Pointe. Wir sind beim Bewerbungs-Training, Katrin übt nur den bitteren Ernst. Nicht alles ist ganz so schrecklich, wie es scheint.

Den Ton schlug schon der Hofer Eröffnungsfilm an, Neele Leana Vollmars „Urlaub vom Leben“. Darin dreht der Held, ein kleiner Bankkassierer (auch wunderbar lakonisch: Gustav Peter Wöhler), seine Jogging-Runden und meint: „Seit es den ersten Menschen gab, ist er gelaufen, lange bevor er denken konnte. Und als er angefangen hat zu denken, hat er andere für sich laufen lassen. Ob er nun freiwillig läuft oder nicht, eins ist sicher: Alles wiederholt sich.“

Auch eine Art, Wirtschaftszyklen und Klassenkampf zu beschreiben. Also doch die große Koalition einer unter dem sozialen Druck vereinigten Gesellschaft? Jedenfalls rücken Wirklichkeit und Fiktion enger aneinander, nicht nur im deutschen Kino. Am härtesten geht Costa-Gavras zur Sache, dem in Hof die Werkschau gewidmet war. Auch der höhere Angestellte in dessen neuem Film „Le Couperet/Die Axt“ hat seinen Karrierejob in der Papierindustrie verloren. Der 40-jährige Familienvater wird zum Massenmörder: Er tötet seine Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, systematisch, einen nach dem anderen. „Eine unmoralische Erzählung vom Neoliberalismus“, nennt Costa-Gavras den eisig kühlen Thriller.

Vor solch gnadenloser Konsequenz schrecken die deutschen Filmemacher zurück. Ihre Helden geraten auf sympathisch ehrliche Weise ins Trudeln, zögern, verharren und vermeiden drastische Maßnahmen. Sind alle so ratlos hier: Das passt zur Seelenlage der Nation. Nur die Leichtigkeit – und die Komik – haben sie den politischen Großkoalitionären in Berlin voraus.

Vielleicht sollten die sich ja auch mal öfter auf den Balkon setzen. Oder gemeinsam in die Sauna gehen.

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