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Kultur: Fischers Vergangenheit: Ein Beispiel für gelungene Integration - Warum Peter Glotz den Außenminister in Schutz nimmt

Journalismus ist ein schwieriges Geschäft. Was für ein Horror, für die Headlines auf der Eins einer Straßenverkaufszeitung verantwortlich zu sein.

Journalismus ist ein schwieriges Geschäft. Was für ein Horror, für die Headlines auf der Eins einer Straßenverkaufszeitung verantwortlich zu sein. Tag für Tag muss man die Leser anrühren, aufstören, faszinieren. Aber es kann keine Rede davon sein, dass jeden Tag etwas Anrührendes, Aufstörendes, Faszinierendes passiert. Selbst die Featureseite einer normalen Tageszeitung erzwingt täglich das Prinzip der Hautnähe. Aktualität ist nicht Neuheit. Aktuell ist, was die Leute aufregt, was in ihre Gegenwelten fällt.

Deswegen ist auch Stoff, der jahrelang herumliegt und auf den niemand geachtet hat, aktualisierbar. Wie schmerzhaft das im Einzelfall sein kann, erfährt gerade Außenminister Joschka Fischer. Dass er in seinen Zwanzigern ein militanter Straßenkämpfer war, war allgemein bekannt. Fischer hat es auch niemals bestritten. Der politischen Öffentlichkeit musste klar sein, dass der Mitbegründer der grünen Partei eine Vergangenheit als Frankfurter Hausbesetzer hatte. Nur das erneute Auftauchen der entsprechenden Fotos (und der Prozess gegen den Exterroristen Hans-Joachim Klein) gibt jetzt die Gelegenheit, längst bekannte Tatsachen neu zu beleuchten und auf die Titelseiten der Zeitungen zu heben.

Natürlich kann man jetzt über die Frage rechten, ob Fischer mit seiner Vergangenheit seriös umgeht. Bereut er, was er tat? Wägt er die Repression der Obrigkeit der Sechziger- und Siebzigerjahre gerecht gegen die spontane Militanz eines Teils seiner eigenen Generation ab? Die Erörterung all dieser Fragen gehört nicht auf die Frontseiten der Zeitungen, sondern ins Vermischte, ist aber durchaus legitim. Absurd dagegen ist die Debatte der Frage, ob der höchst erfolgreiche Außenminister Fischer denn nun Außenminister bleiben könne. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Frage aus der zweiten Reihe der Opposition gestellt wird.

Rücktrittsforderungen gehören zum klassischen Repertoire der parlamentarischen Opposition. Substanz hat dieses Verlangen aber nicht. Dieselben CDU-Politiker, die sich geschmeichelt fühlen, wenn sie Arafat oder Mandela die Hand drücken dürfen, können nicht so tun, als ob Fischer jetzt ins Kloster müsse. Natürlich sind die Fälle schwer vergleichbar. Arafat und Mandela wehrten sich gegen ungleich brutalere Gewalt als Fischer; allerdings auch mit ungleich brutaleren Mitteln. Man kann Joschka Fischer vorwerfen, dass er als Zwanzigjähriger den Charakter des Rechtsstaats Bundesrepublik verkannt hat. Aber man kann unmöglich jedem Menschen, der in seinen Zwanzigern politisch unreif war, in seinen Fünfzigern verwehren, hohe Ämter zu bekleiden.

In Wahrheit ist Fischer ein lebender Beweis für die Integrationskraft der deutschen Demokratie. Man muss der außenpolitischen Naivität, der ökonomischen Inkompetenz und ökologischen Aufgeregtheit der Spontigeneration nicht mit Sympathie begegnen; sie hat die deutsche Linke, und insbesondere die SPD, zu vielen sinnlosen Umwegen gezwungen. Aber immerhin war der deutsche Parlamentarismus stark genug, diese Jugend zu zwingen, sich in seine Strukturen einzufügen. Fischer hat dazu beigetragen, dass aus hunderttausenden Fundamentaloppositionellen schließlich gut sozialisierte Anhänger einer politischen Partei wurden, die heute so bürgerlich ist, dass man sie als ökologische FDP bezeichnen kann. Hätte er das geschafft ohne seine Vergangenheit? Das muss man bezweifeln.

Peter Glotz

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