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© ddp

Jan Delay: Flamme im Herzen

Das Chamäleon des Pop: Jan Delay beschließt in Berlin seine gefeierte Deutschland-Tournee und plant dabei schon wieder einen Neuanfang. Denn das Feuer hört für den Vollblutmusiker nie auf zu brennen.

Eine Epoche geht mit dieser Tournee doch nicht zu Ende. Dabei hatte man erwartet, dass Jan Delay seinem Ruf als Chamäleon der deutschen Popmusik gerecht wird und auch sein Funk-Projekt mit der Begleitband „Disko No. 1“ nach dieser Tournee beerdigen wird. Ebenso wie er nach der erfolgreichen Platte „Searching for the Jan Soul Rebels“ von 2001 sein Zwischenspiel mit der Sam Ragga Band beendete. Und auch so, wie er die Absoluten Beginner nach drei Alben – mit „Bambule“ aus dem Jahr 1998 ein Höhepunkt des deutschen Hip-Hops – schon mal auf den Parkplatz der Leichenhalle geschoben hat. Doch nun geht nur die erste Etappe der Delay’schen Funk-Epoche zu Ende, denn eine zweite Platte mit „Disko No.1“ ist geplant.

Es ist der Abend eines großen Showmasters in der Columbiahalle. Delay schwebt über die Bühne: elegant, in dunkelrotem Hemd und mit schwarzem Hut – ein Udo-Lindenberg-Zitat, ein Markenzeichen der Funk-Epoche. Begleitet von der Bigband „Disko No. 1“, die mit zwei Bässen, drei Bläsern und drei Vocals hinter Delay nicht verloren geht.

Nur wenig erinnert noch an den jungen Rapper namens Eißfeld, der vor zehn Jahren als Mitglied der Hamburger Gruppe „Absolute Beginner“ startete. Damals trug er Kapuzenpullover, die Augen glasig, seine Stimme schien direkt aus der Nase zu kommen. Man mochte die Beginner weniger für ihre Botschaft – es war das damals branchenübliche Posen und Dissen der anderen – als für ein Lebensgefühl, ihre Styles.

Auf politischen Pfaden

Doch mit der Sam Ragga Band überwand Jan Delay das selbstreferenzielle Geschäft und wurde politisch. Auf „Searching for the Jan Soul Rebels“ erfand er sich als später Apologet der RAF. In „Söhne Stammheims“ mahnt er: „Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin, folgen irgendeinem Slatko und nicht mehr Baader und Ensslin.“ Um dann lakonisch anzumerken, dass man endlich wieder Mercedes fahren kann, „ohne dass die Dinger ständig explodieren“.

In der liberalen Wochenzeitung die „Zeit“ durfte er über ein neues Deutschland träumen, während der „Spiegel“ und stramme Linke ihn für einen Spinner halten, nicht zuletzt, da er die Existenz einer dritten Generation der RAF leugnete. Ist Jan Delay ein Provokateur, der Christian Kracht des deutschen Pops? Etwa wenn er über die imaginierte Allgegenwärtigkeit Hitlers singt: „Er ist im Radio zu hören oder live on stage und natürlich hat er jetzt auch eine eigene Homepage / O Lord, er fährt auch Snowboard und packt alle Vitamine, die es gibt in einen Joghurt. / Er hockt bei Top of the Pops, er vergibt die Jobs of the Jobs.“ Oder wenn er mit dem dauerentrückten Rapchristen Xavier Naidoo im Duett den Flashgott anbetet. Es kann nur ironisch gemeint sein, wenn er eine Promotour für Sony-Ericsson gibt und zugleich den Attac-Slogan „Die Welt ist keine Ware“ im Saal plakatieren lässt.

Aber muss ein Musiker überhaupt wissen, wovon er redet, nur weil er in Heiligendamm gegen die G 8 protestiert, weil er politische Konzerte gibt? Man darf sich bei Jan Delay an Rio Reiser erinnert fühlen; kein Zufall, dass er auch ein Stück von ihm dabei hat: „Für immer und dich“. Wie Reiser glänzt er eher durch Rhetorik als durch Stichhaltigkeit. Delay ist ein Volkstribun der Attac-Generation.

Im neuen Gewand des Funks

Mit "Mercedes Dance", die im letzten Jahr erschien, erfand er sich noch einmal neu: "Ein neuer Jan, ein neuer Anfang. Reggae ist tot, jetzt ist Funk dran“, singt er da. Statt Politik nun also Disco-Funk: Da bleibt wenig Platz für Politik. Doch bei Delay gilt, dass "Politik komplett aus Style“ besteht. Auch das kommt im „Spiegel“-Milieu nicht besonders gut an, selbst wenn für ihn Style mehr als Kleidung ist: „Es ist eine Haltung.“ Jan Delay, der selbst ernannte „Chefstyler, der Headliner“, ist auf „Mercedes Dance“ subtiler geworden, leise träumt er in "Kartoffel“ vom anderen Deutschen und verstummt fast, wenn er ein Instrumentalstück „Gasthaus zum lachenden Stalin“ nennt.

Sooft Delay sich auch neu erfindet, etwas bleibt gleich. Es ist wie mit dem verzögerten Echo, das er im Namen Delay trägt, auch das die Wiederholung des Immergleichen, während sich die Gestalt ändert. Darum ist es kein Widerspruch, dass er Lieder aus allen Epochen spielt. Sie haben seine Metamorphose mitgemacht und treten im neuen Funk-Gewand auf, ohne dadurch zu verlieren.

Aber im Delay-Kosmos ist Platz für mehr: In einer großen Melange zitiert er Funk-Größen wie Prince und Cameos Klassiker "Word up“, spielt Udo Lindenberg ebenso wie Nena, um mit einem Mash-up der beiden Partyhymnen "Remmi Demmi" von Deichkind und "Song 2“ von Blur dem Publikum den finalen Lebensschuss zu verpassen.

Was Jan Delay als Nächstes macht? Man weiß es nicht. Die Gestalt ist egal, wenn nur ein starker Wille dahintersteht. Oder wie es in einem Stück der "Mercedes Dance“ heißt: "Das Wichtigste ist, dass das Feuer nicht aufhört zu brennen, denn sonst wird es ganz bitterlich kalt. Die Flammen im Herzen sind durch nichts zu ersetzen. Darum halt sie am Laufen mit aller Gewalt.“

Jean-Michel Berg

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