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Kultur: Flottmacher

Politiker und Querdenker: Michael Naumann zum 70.

Oft ist etwas Überschießendes in seiner Rede – als wolle er sich selbst ein Stück voraus sein. Und tatsächlich macht Michael Naumann in keiner Minute einen Hehl daraus, dass er etwas zu sagen hat. Er kann und will ja auch nicht verbergen, was für ein großer Posten Meinungslust und Urteilsfreude, Wirkungswillen und, gewiss doch, Ehrgeiz in ihm steckt. Im deutschen Journalismus ist er eine der stärksten Potenzen, aber auch ausgestattet – wenn der Marketing-Jargon für einen vielschichtigen Charakter gestattet ist – mit so vielen Alleinstellungsmerkmalen, dass es ihm in der Branche ein paar Paradiesvogel-Federn einbringt.

Eine Karriere reicht für einen wie Naumann ohnedies nicht. Er war bei „Zeit“ und „Spiegel“, selbstverständlich Führungsreserve, startete dann eine Laufbahn als Verleger, erst bei Rowohlt, dann in New York. Und als hätte die Herausforderung nicht genügt, sich als Deutscher im harten amerikanischen Buchgeschäft durchzusetzen, wagte er 1998 den Sprung in die Politik, um beim rot-grünen Anfang das Amt des Kulturstaatsministers zu begründen. Danach wieder „Die Zeit“, ein Himmelfahrtskommando als SPD-Bürgermeister-Kandidat in Hamburg, nochmal „Zeit“, seit Februar 2010 der Chefsessel beim Magazin „Cicero“. Und eine akademische Karriere hatte er auch noch in petto – Naumann ist habilitierter Politologe, man kann den Titel der Arbeit nicht unzitiert lassen: „Strukturwandel des Heroismus. Vom sakralen zum revolutionären Heldentum“.

Unwichtig ist diese biografische Fußnote nicht. Denn Michael Naumann hat sich stets auf dem schmalen Grat zwischen intellektuellem Anspruch und journalistischer Profession bewegt. Er ist geprägt durch den liberal-westlichen Aufbruch der Nachkriegsjahrzehnte, Naumann gehört sozusagen zur zweiten Generation dieses großen Um- und Neudenkens. Anfang der siebziger Jahre hat er versucht, an der Seite von Melvin Lasky den „Monat“, das Flaggschiff dieses Unterfangens, nochmals flottzumachen. Die Herkunft – Geburt im anhaltinischen Köthen, Kinderjahre zwischen Krieg und DDR, Soldatentod des Vaters, Westflucht der Mutter – bildet dafür vermutlich ein mentales Reservoir, das weiter wirkt.

Es verschafft einer glamourösen Laufbahn ein Unterfutter von moralischer Sensibilität und Bereitschaft zum Engagement. Seine Ausritte in die Politik haben, über das Eskapistische hinaus, vor allem damit zu tun. Und mit seinem streitbereiten intellektuellen Temperament. Dieser Held der westlichen Welt mit seinem weltläufigen deutsch-amerikanischen Lebenshorizont hat versucht, die kulturkritische Kollegenschaft aus ihren – glückliches Wort – „Schwermutshöhlen“ herauszuholen. Er hat sich zu Zeiten auch gehörig vergaloppiert, indem er das Holocaust-Mahnmal mit Albert Speers Architektur verglich – um ihm dann das unterirdische Museum hinzuzufügen, heute ein unverzichtbarer Teil der Stätte. Man kann Naumann am Portepee packen, um den altmodischen Begriff für Respektabilität zu benutzen, denn er hat eins. An diesem Donnerstag wird der temperamentvolle politische und publizistische Querkopf Michael Naumann 70 Jahre alt. Hermann Rudolph

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