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Kultur: Fluch und Furie

Berlinale-Spezial: Charlton Heston als Mengele – Egidio Eronicos Zeitgeschichts-Thriller „My Father“

Ein Friedhof im brasilianischen Manaus: Gedränge, Kameras, schreiende Menschen um ein soeben geöffnetes Grab, um ein paar Knochen und einen Schädel. Darin hauste einmal eines der monströsesten Hirne. Das war ein unbegreiflich unmenschlicher Mensch. Die Gebeine gehören dem in Südamerika untergetauchten, Ende der 70er Jahre dann bei einem Badeunfall als alter Mann ertrunkenen Dr. Josef Mengele. Dem Arzt, dem Selektierer, dem Menschenversucher und Zwillingsforscher von Auschwitz.

Es ist eine mit schnellen Schnitten, dramatisch wechselnden Einstellungen und einem heftigen Gewirr aus Stimmen und Musiken gefilmte Szene. So hysterisch und quasi-authentisch wie diese Exhumierung 1985 in Brasilien auch wirklich gewesen sein mag: im Mischstil aus Doku und Fiction sehr effektbewusst gesetzt (à la Oliver Stone). Auch die Vorlage, Peter Schneiders Erzählung „Vati“ (1987 erschienen) ist vom Fall Mengele und den Zeugnissen des Mengele-Sohnes Rolf inspiriert, der zunächst nichts von seinem Vater wusste und ihm erst kurz vor dessen Tod unter konspirativen Umständen in Brasilien begegnete. Der bei uns kaum bekannte italienische Regisseur Egidio Eronico hat den Stoff nun einigermaßen frei verfilmt, mit einer spektakulären Besetzung: Denn den alten Mengele spielt Hollywoodlegende Charlton Heston. Und den wollte Berlinale-Chef Dieter Kosslick offenbar lieber im Format „Special Event“ als im Wettbewerb präsentieren. Denn Heston, der die wohl grausigste, dämonischste Figur des Holocaust spielt (oder was von ihr übrig blieb), ist heute selber zum Fürchten.

Der alte, erkrankte Heston gilt noch immer als Amerikas prominentester Waffen- Lobbyist. Zur Berlinale hätte er ohnehin nicht (mehr) kommen können. Doch obwohl ihm niemand vom Filmteam oder im Publikum der Berliner Weltpremiere persönliche Sympathien entgegenbrachte: Er bekam eine Ovation für seine Rolle.

Heston ist in seiner schmallippig lächelnden Kühle selbst in tropischer Hitze tatsächlich bemerkenswert souverän. Er spielt kein Monster, sondern einen lebensmüd wachen, untergründig präsenten Starrkopf, dessen zweites Gesicht mit seinen Opfern in Auschwitz begraben liegt: unaufdeckbar auch für den entsetzten, in Rückblenden des Films zwischen Polen, Deutschland und Südamerika umherirrenden Sohn (herausragend: Thomas Kretschmann). Schnulzig dagegen Mengeles Beliebtheit bei den brasilianischen Favela-Kids. Und ziemlich peinlich die Dämonisierung des jüdischen Opfer-Anwalts durch F. Murray Abraham, der mit dunkler Sonnenbrille einen Entschädigungs-Mafioso zu geben scheint.

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