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Kultur: Form muss dienen

Ergänzen statt Bauen: Der Architekt HG Merz über seine Arbeit mit Gedenkstätten und Museen

Herr Merz, was bedeutet für Sie der Begriff Erinnerungsarchitektur?

Dieser Begriff wird für viele unserer Projekte benutzt. Dabei geht es nicht nur um das „Dritte Reich“ und seine Opfer. Wir planen auch für andere, die sich erinnern wollen. Das Schlesische Museum in Görlitz, zu Unrecht in die politische Ecke der Vertriebenen gestellt, wird am 13. Mai eröffnet. Auch das neue Mercedes-Benz Museum in Stuttgart, dessen Ausstellung wir konzipieren, dient der Erinnerung.

Ist die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen die erste Arbeit, in der Sie sich mit dem NS-Regime auseinander setzen?

Mit dem NS-Regime und dem Thema Zwangsarbeit haben wir uns bereits bei der Ausstellung „Stuttgart im 2. Weltkrieg“ und den Neukonzeptionen der Museen von Mercedes-Benz und Zeppelin auseinander gesetzt. Mit Sachsenhausen kamen wir in Berührung, als man uns zum Wettbewerb für die Baracke 38/39 einlud, den wir auch gewonnen haben. Mich interessiert das Thema seit der Schulzeit. Meine Lehrer hatten die NS-Zeit selbst erlebt.

Und Ihr Elternhaus? Gab es Auseinandersetzungen?

Mein Vater war Mitläufer. Als Architekt kam er zur Organisation Todt und hat während des Krieges Flugplätze in Italien und Nordafrika gebaut. Als es Zeit war, sich mit ihm auseinander zu setzen, starb er. Mit meiner Mutter ging das nicht.

Wer sind Ihre Vorbilder?

Mies van der Rohe und Jean Prouvé: Architekten, die stark von der Konstruktion und der Form gelebt haben. Und dann landet man schließlich bei einem so dekorierten Gebäude wie der Alten Nationalgalerie. Mit 30 hätte ich das kaum gemacht.

In der Alten Nationalgalerie ordnet sich das Neue dem Alten unter.

Die Gestaltung eines Museums sollte sich den Exponaten unterordnen. Bei der Alten Nationalgalerie haben wir versucht, dem Haus seinen Charakter zu lassen. Ich trete lieber in die zweite Reihe zurück. Es muss niemand kommen und sagen: Das ist alles neu und ganz toll hier. Mir ist lieber, man erkennt es erst auf den zweiten Blick. Wahrscheinlich bin ich eine perfekte Konkubine für lebende und tote Architekten.

Die „Station Z“ in Sachsenhausen, die Todesstation, ist eine Art Antiarchitektur. Wie haben Sie die Grundidee entwickelt?

Wir wollten den Ort nicht überhöhen und uns der alten Situation annähern. Das Lager und die Tötungsstation waren ursprünglich voneinander getrennt. Die Häftlinge wussten, was da passiert, konnten es aber nicht sehen. Durch den Durchbruch der Lagermauer um 1960 wurde das komplett negiert. Wir haben sie wieder geschlossen, ohne zu rekonstruieren. Außerdem mussten wir einen Schutzbau für die Fundamentreste entwerfen. In seinem Innern wollten wir eine Atmosphäre, die das Außen wegblendet, aber spürbar lässt. So kamen wir zu diesem transluzenten Gebäude. Es schwebt ganz leicht über dem Gelände, will es auch gar nicht berühren.

Ist das leichte Zischen des Unterdrucks, das Assoziationen an Vergasungen auslöst, so beabsichtigt?

Nein, das ist noch nicht richtig abgedichtet. Pneumatische Konstruktionen werden normalerweise aufgeblasen. Um den Körper so fugenlos und scharfkantig wie möglich hinzukriegen, arbeiten wir mit einem Vakuum. Wenn es völlig dicht ist, läuft dieses Maschinchen nur einmal am Tag, um den Unterdruck auszugleichen.

Ist Sachsenhausen mit anderen Projekten vergleichbar?

In Sachsenhausen muss man sich zurücknehmen. Informationspflicht statt Unterhaltungspflicht. Dort gibt es nicht sehr viele Exponate. Selbst die Gebäude sind meist nicht erhalten, also müssen Sie etwas finden, das die Menschen berührt. Unser Zugang ist anders als in Dachau oder Yad Vashem. Dort arbeitet man mit hoch vergrößerten grobkörnigen Fotos. Das erinnert mich zu sehr an Werbeästhetik.

Wie sieht Ihre Freiflächenplanung für Sachsenhausen aus?

Es ist ein unwirtlicher Ort. So soll es bleiben. Wir werden die 1960 rund um den Appellplatz errichtete Ringmauer abreißen, damit man vom Turm A wieder das gesamte Lager vor sich hat. Wir werden die Flächen, auf denen Baracken standen, in die Grasfläche einschneiden. In diese Felder legen wir Schotter. Alles drum herum bleibt. Nur die rigide Ideallager-Struktur wollen wir stärker betonen. Der perfide Ansatz: Von Turm A konnte das ganze Lager mit einem einzigen Maschinengewehr bestrichen werden.

Beim Wettbewerb für die Neugestaltung der Topografie des Terrors saßen Sie im Preisgericht.

Die Bandbreite der Beiträge war groß. Das Problem: Was Daniel Libeskind perfekt beherrscht, mit Metaphern und Überinterpretationen zu jonglieren, kann nicht jeder. Die preisgekrönte Lösung erklärt sich durch die Vorgeschichte. Man wollte alles, nur nicht noch einmal eine Architektur wie die von Zumthor. Die Entscheidung war etwas hasenfüßig. Es gab interessantere Lösungen.

Die „Station Z“ ist eine neutrale Hülle, die ihre Bedeutung erst durch den Kontext gewinnt. Wäre sie auch über normalen Ausgrabungen vorstellbar?

Es ist ja nicht nur ein Schutzbau, dazu gehören auch der Zugang, die Betonmauer, die Öffnung in der Decke, die Skulptur von Waldemar Grzimek, das Zitat von Andrzej Szczypiorski. Ich tue mich normalerweise schwer, so pathetisch aufzutreten. Aber das Ergebnis gibt einem vielleicht Recht. Wenn zwei Schulklassen den Gedenkort betreten, sehen sie das Zitat, sehen den Grzimek, bleiben stehen und verstummen.

Das Gespräch führte Michael Zajonz.

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