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Kultur: Forschen am Rande der Kriminalität

Warum Wissenschaftler, Juristen und Bio-Ethiker eine Änderung des deutschen Stammzellengesetzes fordern

Professor Yves-Alain Barde ist ein auf Englisch und Deutsch mit französischem Singsang sehr sanft, sehr bedacht formulierender Mann. Er ist Neurobiologe an der Universität Basel, dazu Leiter eines jener Institute, auf deren medizinisch-biochemischen Forschungen eine große Heilserwartung ruht: dass man mit neu gezüchteten Zellen, Gewebepartien oder gar Organteilen eines fernen Tages Krankheiten wie Krebs, Parkinson oder Alzheimer kurieren könnte oder bei schweren Verletzungen für Ersatz oder bisher unmögliche Regeneration sorgen möge.

Diese Menschheitsträume hängen heute – jenseits aller science-fictionhaften Klonfantasien – an der seriösen medizinischen Stammzellenforschung. Sie setzt das Zukunftssignal; nichts daran ändern auch jüngst enttarnte Scharlatane wie der koreanische Wunderkloner Hwang Woo, der inzwischen wohl eine massivere Stammzelle bewohnt. Ein Fall für den Staatsanwalt drohen inzwischen ganz ohne Betrug freilich auch deutsche Stammzellenforscher zu werden.

Für Professor Barde aus Basel bedeutet das ein Problem: „Bei uns bewerben sich laufend junge deutsche Wissenschaftler, die zum Teil schon bei mir studieren. Aber ich bin mir bei unseren Projekten nicht mehr sicher, ob ich deutsche Staatsbürger ohne rechtliches Risiko für sie selbst daran beteiligen kann.“ Das betrifft Forscher, die nach Basel vielleicht nur ein paar Kilometer über den Rhein wechseln. Doch eine Strafgrenze überschreiten, wenn sie mit embryonalen Humanzellen arbeiten, die nicht schon vor fünf Jahren auf Eis gelegt wurden.

Der 1. Januar 2002 nämlich ist für deutsche Forscher ein heikles Datum. Menschliche embryonale Stammzellen, die bei künstlicher Befruchtung durch die Verschmelzung einer männlichen Samenzelle mit einer weiblichen Eizelle im Reagenzglas entstehen, sind ab diesem „Stichtag“ nach deutschem Recht als menschliches Leben geschützt. Wer sie für Forschungszwecke gebraucht und dabei verbraucht, begeht in Deutschland, anders als etwa in England, Schweden, Israel oder in der Schweiz, ein Tötungsdelikt. Was deutsche Stammzellenforscher sowie ihre kooperierenden internationalen Kollegen in Nöte bringt. Und zunehmend auch Juristen erregt.

Ab 1. Januar 2007 beispielsweise können für neue medizinische Forschungsprojekte Anträge bei der Europäischen Union gestellt werden. Die EU hat diesen Sommer dafür im Bereich der Stammzellenforschung Fördermittel in zweistelliger Millionenhöhe bereitgestellt, mit Zustimmung auch von Bundesforschungsministerin Annette Schavan. Das Problem ist jetzt: Von der EU werden voraussichtlich Forschungen mitfinanziert, bei denen nicht nur mit älteren Stammzelllinien gearbeitet wird; und dies anteilig gefördert durch deutsche Steuergelder. Sarkastische Stimmen fragen deshalb, ob die Bundesregierung damit von ihr kriminalisiertes Handeln im Ausland selbst unterstützt. Ministerin Schavan jedenfalls hat sich als vehemente Gegnerin der unbegrenzten Forschung an embryonalen Stammzellen zumindest in ein moralisch kaum lösbares Dilemma manövriert.

Die Fragen des einschlägigen deutschen Rechts, basierend auf dem Embryonenschutzgesetz von 1991 und dem Mitte 2002 beschlossenen Stammzellengesetz, beginnen jedoch vor den politischen oder wissenschaftlichen Praktikabilitätsproblemen. Deswegen trafen sich jetzt im neu gegründeten „Münchner Kompetenz-Zentrum Ethik“, einer Exzellenzinitiative der Ludwig-Maximilians-Universität, internationale Forscher, Ethiker, Juristen und Politiker, um über „Herausforderungen und Grenzen der Stammzellenforschung“ zu beraten.

Dabei machten die wissenschaftlichen Experten, unter anderem zwei führende deutsche Physiologen, Magdalena Götz (München) und Bernd K. Fleischmann (Bonn), jeweils klar: Die biomedizinische Forschung ist noch Jahre oder Jahrzehnte entfernt, aus Stammzellen menschliche Ersatzorgane produzieren oder konkrete Heilungschancen etwa für Hirnerkrankungen wie Alzheimer anbieten zu können. Eine zweite Einsicht ist freilich überraschender und wohl unmittelbar folgenreicher. Denn alle Forscher widersprachen aus unterschiedlichen Perspektiven der bisherigen Position offizieller deutscher Wissenschaftspolitik. Diese lautet: Sogenannte adulte, „erwachsene“ Stammzellen, dem Blut oder den Organen geborener Menschen entnommen, könnten für die Forschung embryonale Stammzellen ersetzen oder verhießen gar schnelleren medizinischen Fortschritt.

Über diese angebliche Gleichwertigkeit oder Ersetzbarkeit könne man aufgrund neuerer Forschungsergebnisse „schon nicht mehr diskutieren“ (so Fleischmann). Barde: „Embryonale menschliche Stammzellen sind in vielen Bereichen unersetzlich, um die neurobiologischen Mechanismen unseres Lebens zu verstehen.“ Götz im Hinblick auf regenerative oder ersetzende Zellen bei bisher unheilbaren Hirnverletzungen oder Organschäden: „Embryonale und adulte Stammzellen haben verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten. Wir wissen nicht, welche die ,besseren‘ sind. Deshalb braucht die Grundlagenforschung beide Varianten.“ Eine Einschätzung, die auch Ernst-Ludwig Winnacker als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft vertritt. Das deutsche Stammzellenrecht sei heute nicht mehr haltbar.

Dieses Recht entspringt vielerlei Kompromissen und der historischen Belastung, dass deutsche Forscher schon einmal mit angeblich „unwertem“ Menschenleben fürchterlich experimentiert haben. Solch einen Vergleich allerdings halten inzwischen nur noch sehr fundamentalistische Gruppen für angebracht. Dabei spielen liberalere ausländische Regelungen eine leicht entspannende Rolle.

Es geht letztlich um die Frage, wann überhaupt man den Beginn absolut schützenswerten menschlichen Lebens annimmt. Vor allem strenge Katholiken und, merkwürdig genug, strenge Grüne im Deutschen Bundestag, möchten bereits dem im Reagenzglas befruchteten Ei den vollen Rang und Schutz der in Artikel I Grundgesetz formulierten Menschenwürde zubilligen. Wer so denkt, müsste jedoch auch die bisherige Stichtagsregelung ablehnen. Dass Zellen, die schon vor Erlass des Stammzellengesetzes bei künstlichen Befruchtungen eingefroren wurden, bis zum 1.1. 2002 weniger schützenswertes Leben darstellen als danach entstandene, ist kategorial nicht haltbar. Ohnehin völlig inkonsistent ist das geltende Recht im Vergleich etwa zu den Abtreibungsregelungen: Eine mikroskopisch noch kaum erkennbare Zellblase wird demnach weit strenger geschützt als ein über Monate bereits entwickeltes Kind. Zudem „töten“ Spiralen und die Pille danach ganz legal jenes potenzielle Menschenleben, das im Stammzellengesetz geschützt werden soll.

Ehrlicher und konsequenter wäre es, wie der Münchner Philosoph und Sprecher des neuen Ethikzentrums Wilhelm Vossenkuhl betonte, den Schutz des werdenden Lebens erst mit der Nidation (der Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter) beginnen zu lassen: „Erst jetzt, mit der auch biochemisch entscheidenden Beeinflussung durch den Organismus der Mutter beginnt die Individuation, die Bestimmung des Geschlechts eines Menschen.“

Vossenkuhl verweist damit auch auf das geltende Recht unter anderem in Israel. Und der Tel Aviver Jurist Schai Lavi gibt zu bedenken: Die deutsche Frühbestimmung menschlichen Lebens, die auch der Position des Vatikans oder konservativer US-Christen entspricht, setzt auf die schiere „Potenzialität“ der Zellen. „Die ist aber mit keiner sinnlich-phänomenologischen Evidenz, sondern nur durch die neuere naturwissenschaftliche Forschung begründbar. Ausgerechnet die Traditionalisten berufen sich also auf eine Wissenschaft, der sie die Freiheit zu forschen beschneiden wollen.“

Der ethische Konflikt ist nicht völlig rational lösbar. Aber die Vertreter aller Bundestagsparteien zeigten sich in München einig, dass zumindest die Strafbarkeit bei der Stammzellenforschung künftig entfallen soll. Zurzeit nämlich, so der Strafrechtler Ulrich Schroth, riskieren deutsche Wissenschaftler sogar bei Telefonaten oder E-Mail-Austausch mit englischen oder israelischen Forschern ein Beihilfedelikt. Allerdings nur, wenn sie als „Amtsträger“ (als Uniprofessor), nicht wenn sie als Privatmann (angestellt beim Max-Planck-Institut) handeln.

Da lacht der Rechtsschimmel.

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