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Taipei

© Berlinale

Forum: Jugend ohne Sonne

… aber mit Humor: Koreanische und taiwanesische Debütfilme im Forum.

Unser fantastisches 21. Jahrhundert – das kann nur ironisch gemeint sein. In Ryu Hyung-kis Debütfilm ist der Spaß schnell wieder vorbei. Eine freudlose Welt eröffnet Our Fantastic 21st Century: Bildnis einer Jugend mit niedrigem Monatslohn und ohne Zukunftsaussichten. Su-yeong jedenfalls kommt auf keinen grünen Zweig. Als begabte Modedesignerin hat sie nur eine Chance, wenn sie noch viel schlanker wird. Also jobbt sie für die Schönheits- OP im Supermarkt und manipuliert die Preise, um verbilligte Elektrogeräte illegal und gewinnbringend weiterzuverkaufen.

Su-yeong ist ein Pechvogel. Der Freund brennt mit ihren Ersparnissen durch, sie wird bei ihren Tricksereien erwischt, auch mit einem Kredithai hat sie kein Glück – bis sich am Ende ein gewaltsam-makabrer Ausweg auftut. Ihr Leben: eine Sackgasse. Keinen Himmel zeigt dieser Film, keine Sonne, kaum ein Lächeln. Su-yeong wohnt im Souterrain, auf Arbeit ist sie umgeben vom Zweckmobiliar der verwalteten Welt. Die Schauspielerin Han Su-yeon leiht der Heldin ihr Alabastergesicht, das Antlitz einer schönen Untoten. Apathie und Verzweiflung: Die so sorgsam wie streng stilisierten Bilder sind Chiffren für Verlorenheit, Einsamkeit, Haltlosigkeit.

Regisseur Ryu Hyung-ki ist Absolvent der Korean Academy for Film Arts, kurz: KAFA. Die renommierte Schule, die 2009 ihren 25. Geburtstag feierte, hat es nicht leicht. Die konservative Regierung Koreas will dem gesellschaftskritischen Kino den Geldhahn abdrehen und hat die Academy als Kaderschmiede der nichtkommerziellen Filmkunst im Visier. Rigidere Filmförderregeln werden ersonnen, der Schule in Seoul droht das Aus – obwohl ihr die Renaissance des koreanischen Kinos zu verdanken ist. So gesehen ist die mitunter nervtötende immergleiche tragische Stimmung des Films verständlich: als Akt der Verweigerung.

Es geht auch leichter, heiterer – und genauso politisch, wie die anderen südostasiatischen Debütfilme des Forums beweisen: „I’m in Trouble“, „Au revoir, Taipei“ und „One Day“, drei Liebesgeschichten der besonderen Art.

So Sang-min, ebenfalls KAFA-Absolvent, erzählt in I’m in Trouble von dem 30-jährigen Sun-woo (Min Sun-wook), der nicht erwachsen wird, ein Taugenichts, der sich der rasant modernisierenden koreanischen Gesellschaft durch schlichte Faulheit verweigert. Ein Dichter, ohne Job, ohne Ambitionen. Seiner bezaubernden Freundin, Tochter aus wohlhabendem Hause, verspricht er Besserung, will nicht mehr trinken, nicht mehr lügen – und pünktlich zum Tee mit ihrem Vater erscheinen. Aber Sun-woo verpatzt jedes Rendezvous, säuft mit seinem Kumpel die Nächte durch und entschuldigt sich ständig.

„I’m so sorry“: Der Regisseur nennt es die „Liebesgeschichte eines Mannes, der zweimal auf die Knie fällt und einmal in Tränen ausbricht“. Der Anti-Machismo solcher zum Heulen komischen Schürzenjagdszenen paart sich mit lakonisch-ruhigen Einstellungen: Gegenmittel zur Hektik der asiatischen Megacities. Lowbudget-Kino mit Woody-Allen-Touch, jugendlichem Charme und Happy-End.

Auf Langsamkeit setzen auch die Taiwanesen. „One Day“ von Hou Chi-Jan ist eine Elegie über das Weiterleben nach dem verlorenen Glück: Orpheus und Eurydike in der fernöstlichen Variante. Und Arvin Chen, Berlinale-Kurzfilmgewinner von 2007, gelingt mit Au revoir, Taipei eine mit verschmitztem Sound unterlegte Coming-of-Age-Komödie über einen Jungen, der vor lauter Trennungsschmerz über die nach Paris abgereiste Freundin beinahe seine große Liebe verpasst, weil er das wunderbare Mädchen im Buchladen nicht wahrhaben will – steckt er doch mit der Nase immer im Französischbuch. Bis er in eine Gangsterklamotte gerät, die davon lebt, dass niemand ist, was er scheint zu sein. Der ältliche Immobilienboss ist ein ausgefuchster Pate, seine Gang eine clowneske Gurkentruppe in orangefarbenen Anzügen, und der vermeintlich coole Cop ein Ausbund an Liebeskummer.

Verfolgungsjagden zu Fuß, Kollektivtanz im Park, soapsüchtige Erwachsene, ironisch-stylische Farbdramaturgie – und andauernd werden leckere Dumplings verspeist. Das Leben ist eine Gelegenheit, die man beim Schopf packen muss. Wer stur an seinen Plänen festhält, verpasst es bestimmt. Dennoch verteidigen all diese Filme das Recht auf Unschlüssigkeit, gegen das Primat der Tatkraft. Geld oder Liebe, Poesie oder Karriere, Paris oder Taipei: Die Debütfilmer porträtieren Momente des Zauderns. Das wichtigste Requisit von „I’m in Trouble“ ist die Parkbank als Schauplatz für die noch nicht sesshafte Liebe. Auch „Au revoir, Taipei“ spielt meist unter freiem Himmel, in Garküchen, nächtlichen Gassen, auf dem Moped. In One Day ist es die Fähre. Hier putzt das Mädchen Singing, hier ist der Soldat Tsung auf dem Weg auf die Insel zu seiner Einheit, hier treffen sie sich im Traum, im Transitraum zwischen Leben und Tod. Ein subtiler Kommentar auf den zwischen Festland-China und Inselstaat ungeklärten politischen Status Taiwans.

Das Meer, der Hafen, die Stadt, die Schiffspassage, der Kompass des toten Vaters, die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen: Regisseur Hou Chi- Jan komponiert eine psychedelische Ballade, stilsichere Bilder voller Stille und Melancholie. „One Day“ handelt davon, dass es keinen Grund gibt, wegen einer ungewissen Zukunft auf das Glück des Augenblicks zu verzichten. Das ist fast schon altersweise – und ganz schön sentimental. Die sich abmühende Generation der boomenden asiatischen Städte lässt sich die Romantik nicht nehmen.

Geld oder Liebe, Poesie oder Karriere – die Debütfilmer zeigen Momente des Zaudern

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