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Israel

© Berlinale

FORUM/PANORAMA: Die heilige Kuh streicheln

Neue Töne an festgeklopften Fronten zeigt das israelische Kino bei der diesjährigen Berlinale. Dabei dreht sich alles um Identität, Grenzen und Entgrenzung.

Es ist Nacht in Jerusalem. Eine Gruppe junger Männer streift durch das Dunkel auf der Suche nach einer Lücke im Grenzzaun. Es sind junge palästinensische Homosexuelle auf dem Weg in die (West)-Jerusalemer Schwulenbar „Shushan“, für seine Gäste zweite Heimat und eine winzige Enklave von Offenheit in einem sonst auf Abgrenzungen fixierten Ort: Das Lokal war der einzige Ort in Jerusalem, wo orthodoxe Juden, Araber und Säkularisten unkontrolliert miteinander reden konnten, flirten und tanzen. Barbesitzer Saar Netanel stritt auch im Stadtrat als erster offen homosexueller Abgeordneter für mehr bürgerliche Freiheiten. Doch die spirituellen und materiellen Unkosten gingen über seine Kräfte. Und er stand fast allein: Für die Szene im mondänen Tel Aviv ist Jerusalem eine bigotte No-Go-Area. Eines Morgens im November 2007 wurde im „Shushan“ zum letzten Mal das Gitter geschlossen.

Die US-Filmemacherin Yun Yong Suh setzt diesem Ort nahöstlicher Entgrenzungen in ihrem Film „City of Borders“ ein lebendiges Denkmal und porträtiert einige der Gäste. Eine jüdische Ärztin etwa mit palästinensischer Freundin, die ihre Rollen als Besetzerin und Besetzte machtspielerisch auch immer wieder in der Beziehung verhandeln. Eher an der ideologischen Front operiert der in Tel Aviv geborene Filmemacher Yoav Shamir, der sich auf eine persönliche Recherchereise in ein von Tabus umstelltes Gebiet begibt: Der Antisemitismus, für Shamir „die ultimative heilige Kuh der Juden“, die er aber erklärtermaßen keineswegs schlachten, sondern nur ein wenig aufrütteln will.

Das tut er mit einer gut gespielten Unbedarftheit, die trotz einiger vertrauter Teilnehmer eine erfrischend neue Tonlage in die festgeklopften Fronten bringt. In der Hauptrolle Abe Foxman, der Vorsitzende der Anti Defamation League (ADL), der den jungen Mann mit der Kamera gerne in seiner Nähe duldet. Und eine Schulklasse, die wie fast alle jungen Israelis eine historische Bildungs- und Erlebnisreise nach Ausschwitz unternimmt – von einem Sicherheitsoffizier begleitet und jedem Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung isoliert: In Polen könnte ja hinter jeder Ecke ein Antisemit lauern. Eine Paranoia, die nicht ohne Folgen für die jungen Seelen und das israelische Kollektivbewusstsein bleibt, dass sich den Antisemitismus als Staatsdokrtrin nutzbar gemacht hat.

Um Aufregungen vorzubeugen: Shamirs Film leugnet keineswegs, dass Antisemitimus existiert. Seine Frage ist eher: Macht es heutzutage Sinn, ihn zum Lebensmittelpunkt zu machen? Oder ist die Fixierung auf antisemitische Machenschaften vielleicht doch erst mal machtpolitisches Manöver und identitätsstiftender Religionsersatz für das säkulare Judentum, wie es im Film ein ukrainischer Rabbi darstellt: „Ich brauche keine Antisemiten, ich habe Gott.“

Er hatte sie für getarnte Palästinenser gehalten, sagt ein israelischer Soldat, durch dessen Bulldozer bei einem Protest gegen die Planierung palästinensischer Wohnhäuser in Rafah 2003 die junge US-Friedensaktivistin Rachel Corrie zu Tode kam. Einen tragischer Unfall nennen es die israelischen Behörden. Die Dokumentaristin Simone Bitton unternimmt in „Rachel“ ihre eigene Recherche und spricht mit Militärs und Menschenrechtlern, Gaza-Bewohnern und Angehörigen des Opfers. Doch bald überlagert das Interesse an strukturellen Einsichten – etwa in die Mechanismen militärischer Logik – die Klärung der Schuldfrage. Und Gespräche und eingelesene Briefausschnitte von Corrie eröffnen Einblicke in die Erfahrungen der jungen Idealistin aus dem amerikanischen Mittelstand. Auch wenn man ihr Anliegen teilen mag: Filmisch hätte hier etwas mehr Distanz gutgetan.

Um israelische Selbstrepräsentation im Spielfilm geht es im dreieinhalbstündigen Forumsfilm „A History of Israeli Cinema“. Regisseur Raphael Nadjari unternimmt einen Streifzug durch die israelische Filmgeschichte von früheren zionistischen Propagandastücken bis zur heutigen Vielfalt. Auch die aus Interviews und langen Filmausschnitten montierte Erzählung des Films selbst ist formal polyphon angelegt, lässt inhaltlich allerdings kaum wirklichen Disput aufkommen. 

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